Vor knapp drei Wochen hatte ich die Gelegenheit, im Hamburger Abendblatt einen Kommentar zu den möglichen Olympischen Spielen in Hamburg zu schreiben. Aus sportsoziologischer Perspektive zeigt sich ein ambivalentes Bild: Solche Mega-Events bergen zweifellos Potenziale/ Trends– aber ebenso erhebliche umfangreiche Risiken und Herausforderungen für die austragende Stadt und ihre Bevölkerung. Für mich überwiegen leider die negativen Konsequenzen.
Für lokale Athletinnen und Athleten könnte eine Heim-Olympiade eine herausragende Möglichkeit sein, ihre Leistungen im eigenen sozialen Umfeld sichtbar zu machen. Die Chance, auf internationaler Bühne im eigenen Land aufzutreten, ist eine Form symbolischer Anerkennung, die nicht nur das individuelle Selbstwertgefühl stärkt, sondern auch Identifikation und gesellschaftliche Wertschätzung für den Leistungssport befördert. Diese Erfahrung wünsche ich jedem einzelnen, hart arbeitenden deutschen Athleten und jeder Athletin.
Gleichzeitig ist es wichtig, die oft übersehenen, aber umfangreichen Begleiterscheinungen solcher Großveranstaltungen offen zu benennen: die infrastrukturellen Belastungen, die hohe Belastungen für den städtischen Haushalt/ Staatshaushalt, mögliche soziale Verdrängungsprozesse (lokale Unternehmen/ Bewohner), Gentrifizierungseffekte sowie die Gefahr, dass die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung im Schatten globaler Eventlogiken marginalisiert werden.
Umso mehr freue ich mich darauf, heute Abend im Hamburger Rathaus gemeinsam mit weiteren Interessierten über diese Fragen weiterzudiskutieren: Wie lassen sich Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele so gestalten, dass sie sozial verträglich, nachhaltig und tatsächlich gemeinwohlorientiert sind? Ist das überhaupt noch möglich? Was wären die Optionen?
Die ersten Ausführungen der AG Sport zu den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD zum Spitzensport müssen im Bereich der Spitzensportförderung als unzureichend und enttäuschend bezeichnet werden. Problematisch erscheint die starke Fokussierung auf die Sportfördergruppen von Bundeswehr, Polizei und Zoll. Zwar ist die Relevanz dieser Institutionen für die Karrieren einzelner Athletinnen und Athleten unbestritten und muss erhalten bleiben, die Priorisierung und der angekündigte Ausbau dieser Strukturen führt jedoch zu einer einseitigen Ressourcenverteilung, die alternative Förderansätze benachteiligt. Alle dualen Karrieren, welcher Art auch immer, sollten die gleiche Priorität genießen.
Die Analyse der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass nur ein Teil der Spitzensportlerinnen und Spitzensportler an einer Förderung bei Bundeswehr/Polizei/Zoll interessiert ist. Ein Ausbau würde die strukturellen Ungleichheiten innerhalb des deutschen Spitzensports verstärken, zudem besteht die Gefahr der beruflichen (Laufbahn-)Abhängigkeit: Athletinnen und Athleten sehen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich frühzeitig an staatliche Laufbahnen zu binden, auch wenn diese nicht ihren individuellen Karriereplänen und Interessen entsprechen. Dies kann nicht Ziel eines modernen Förderkonzeptes sein.
Ein weiteres Defizit innerhalb der bestehenden Förderstrukturen ist die unzureichende Berücksichtigung bildungsbezogener Aspekte wie der dualen Karriere (Ausbildung und Studium). Während die Sportfördergruppen finanzielle Stabilität bieten, fehlt es häufig an einer gleichwertigen Unterstützung akademischer Laufbahnen. Eine umfassende Spitzensportförderung muss über kurzfristige Erfolge hinausgehen und langfristige Perspektiven für die Athletinnen und Athleten schaffen (insbesondere im Bereich Bildung und Ausbildung).
Warum studentischer Spitzensport?
Studierende sind die erfolgreichste Gruppe im deutschen Spitzensport: Bei Olympischen Spielen stellen sie den größten Anteil an Medaillengewinnern, wobei die Erfolge seit Jahrzehnten kontinuierlich steigen. Sie gelten daher als besonders förderungswürdig.
Durch die grundsätzliche Vereinbarkeit von Spitzensport und Studium können die Hochschulen flexible Strukturen bieten – wie Teilzeitstudiengänge, individuelle Prüfungsanpassungen und Hybridstudiengänge – optimale Grundvoraussetzungen, um sportliche und akademische Entwicklung zu verbinden. Dieses Potenzial bleibt in Deutschland jedoch weitgehend ungenutzt. Zudem fehlen staatliche Anreize, um strukturelle Veränderungen in diesem Bereich voranzutreiben. Für Sportlerinnen seit Jahren eine herbe Enttäuschung.
Eine verstärkte akademische Förderung eröffnet langfristige Karriereperspektiven über den Sport hinaus. Eine akademische Laufbahn reduziert die Abhängigkeit von staatlichen Sozial- und Unterstützungsleistungen nach der Sportkarriere. Länder wie die USA zeigen mit ihren College-Sportprogrammen, dass Spitzensportförderung und akademische Exzellenz keine Gegensätze sein müssen, sondern einander befruchten können, wenn die parallele akademische Ausbildung sinnvoll und seriös gestaltet wird.
Was muss passieren?
Vor diesem Hintergrund ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der Spitzensportförderung notwendig. Statt verstärkt auf traditionelle staatliche Institutionen wie Bundeswehr, Polizei und Zoll zu setzen, sollte die Förderung intensiver auf die universitäre und zivilgesellschaftliche Ebene ausgeweitet werden. Innovative Ideen, so auch Insellösungen für Talente z.B. in Kleinstädten verdienen Probe.- und Evaluierungsphasen. Mutige, kreative Vorgehensweisen wie sie unter anderem auch Athleten Deutschland in den vergangenen Jahren mit vielen Ideen (auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend) geliefert hat, können eine Grundlage bilden.
Konkret heißt dies für den deutschen Spitzensport:
eine wesentlich stärkere Beteiligung der Athlet*innen an Ausgestaltungen der Förderstrukturen,
ein „outside the box“- Denken auf neuem Niveau,
die Erprobung unterschiedlicher Fördermodelle und vor allem deren Evaluierung (das Defizit an belastbaren Daten zum deutschen Fördersystem ist gravierend),
die Etablierung einer leistungsfähigen universitären Sportförderung, die international konkurrenzfähige Bedingungen schafft,
die Entwicklung von sozialen Absicherungsmodellen für Athletinnen und Athleten außerhalb staatlicher Strukturen, um Chancengleichheit zu gewährleisten,
eine Analyse der Absicherungsstrukturen in europäischen Nachbarländern und Identifikation von Best-Practice-Modellen,
die Umsetzung alternativer Finanzierungsmodelle, z.B. durch zivilgesellschaftliche Stipendienprogramme und private Förderinitiativen,
WICHTIGER FOKUS: Nachhaltige Förderung statt kurzfristiger Erfolgsorientierung, um die langfristige Entwicklung der Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt zu stellen.
Und vieles mehr
Die deutsche Spitzensportförderung muss sich von einem unflexiblen, institutionenorientierten Modell lösen und eine diversifizierte Struktur schaffen, die sowohl sportliche Höchstleistungen als auch individuelle Biographieperspektiven ermöglicht. Nur so ist Deutschland langfristig international konkurrenzfähig, ohne dabei die soziale und berufliche Zukunft der Athletinnen und Athleten zu gefährden.
Die Reaktionen auf die Halbzeitshow des Super Bowls waren sehr unterschiedlich. Die Meinungen reichten von Enttäuschung über die Auswahl der Stücke bis hin zu Anerkennung für die gewagte Zusammenstellung der Setlist und der Gesamtkomposition. Dabei hatte Kendrick Lamar die Setlist für eine reine Hip-Hop- und Rap-Show sorgfältig geplant. Er wollte Rap, LA und seine Kultur auf die größte Sport- und Unterhaltungsbühne bringen, wohl wissend, dass dies kontrovers sein könnte. Er stellte die Erwartungen an eine „spektakuläre“ Show voller Hits infrage, indem er eine rohe, authentische und auf Rap konzentrierte Show bot. Indem er die Straßen von Compton zeigte, setzte er die politischen Themen fort, die ihn seit Beginn seiner Karriere beschäftigen. Lamar weiß, dass der Super Bowl ein Spektakel des Neoliberalismus, Militarismus und Konsumismus ist, bei dem Rüstungskonzerne und milliardenschwere Unternehmen in den Pausen für die Illusion des Fortschritts werben, bevor Künstler in der Halbzeitpause normalerweise den Frieden besingen. Gleichzeitig werden schwarze Sportler für ihr Talent gefeiert, aber für ihre politischen Ansichten zum Schweigen gebracht (Kaepernick). Im Folgenden soll analysiert werden, warum die Zuschauer etwas Besonderes sahen, ohne es auf den ersten Blick zu bemerken. Die Halbzeitshow des Super Bowls war eine Performance, ein Kunstwerk, das als komplexes, tiefgründiges Werk betrachtet, erst beim wiederholten Ansehen seine volle Bedeutung entfaltet. Ein wesentlicher Aspekt ist die Darstellung Drakes (“Mr. Industry”) als Symbol für die Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung durch das Establishment. Dabei wird die gesamte Half-Time-Performance von einer Videospiel-Leitidee begleitet, wiederholt treten Elemente eines Computerspiels in Erscheinung. Ist das Spiel auch als ein Symbol zu interpretieren? Eine mögliche Deutung ist, dass Kendrick Lamar für diese Zeit die Macht über Symbolik und das Gesagte hatte.
Samuel L. Jackson, der die Show als Onkel Sam begleitet, und selbst als eine Figur des Establishments durch seine Rollen in „Star Wars“, „Stirb langsam“ oder „Django Unchained“ gesehen werden kann, liefert wichtige Einwürfe. Dabei ist Onkel Sam nicht nur Symbol, sondern er ist das System, die Regierung, die Industrie, die Maschine, die die Regeln festlegt, aber nicht fair spielt.
Samuel L. Jackson alias Uncle Sam sagt: „Willkommen zum Spiel Amerikas!“ Dabei geht es nicht um den Super Bowl oder Football, sondern um das Spiel der amerikanischen Regierung mit der schwarzen Bevölkerung und Minderheiten.
Lamar beginnt mit der Aussage, dass die Revolution auch im Fernsehen stattfinden und übertragen wird, zum richtigen Zeitpunkt, aber mit dem falschen Mann (eine Anspielung auf die Wahl Trumps). The Revolution Will Not Be Televised ist ein Gedicht/Lied von Gil Scott-Heron aus den Jahren 1969/70. Es war ein Aufruf an die Afroamerikaner, aus der passiven Konsumentenrolle auszubrechen und aktiv gegen Rassismus, Rassentrennung und soziale Missstände zu kämpfen, inspiriert von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Kendrick Lamar überträgt es auf das Heute, ins Zeitalter der digitalen Revolution. Dabei betont er, dass er nicht zu denen gehören will, die sich ohne Widerstand anpassen und verstecken. Stattdessen betont er die Bedeutung des Kollektivs und dass er für Überzeugungen einstehen will. Seine Botschaft ist eine klare Ansage gegen Passivität und Anpassung an die politischen Gegebenheiten im Land und für die Meinungsfreiheit. Lamar erinnert daran, dass dem System es bis heute immer wieder gelungen ist, die Einheit der schwarzen Bevölkerung zu zerstören – sei es durch Masseninhaftierung, Ermordung oder wirtschaftliche Manipulation.
Jackson (als Uncle Sam) fragt Lamar: „Weißt du wirklich, wie man spielt? Das Spiel ist zu laut, zu ghettomäßig, reiß dich zusammen!“
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Und Kendrick fügt in seinem Song „Humble“ hinzu: „Setzt euch hin, seid demütig“, denn das ist es, was Amerika von den Schwarzen und Minderheiten will („Sit down, be humble“). Und als Lamar und seine Tänzer während seines Hits eine menschliche amerikanische Flagge auf dem Spielfeld bildeten, war klar: Eine bessere Stellungnahme über den aktuellen Zustand des Landes, das einen Spiegel vorgesetzt braucht, kann es nicht geben. Lamar steht zwischen einer geteilten Fahne, die eine geteilte Nation repräsentiert, und gleichzeitig ist das Wegdrehen der Tänzer eine Anspielung darauf, dass die Nation auf dem Rücken der schwarzen Bevölkerung errichtet wurde. Zeitgleich stehen die Farben der Flagge auch für die Gangs Crips und Bloods in LA. Die blau gekleideten Crips und die rot gekleideten Bloods vereinen sich während der Performance trotz ihrer Unterschiede und ihres Hasses aufeinander.
Nachdem sie vereint sind, kommt Onkel Sam vorbei und sagt: „Oh, ich sehe, ihr habt eure Jungs mitgebracht, das ist der Kultur-Cheat-Code. (Er ergänzt: “Score keeper, deduct one life!)“
Geht es lediglich um eine Figur im Videospiel oder ist es gleichzeitig eine Anspielung auf die Bürgerrechtsbewegung und auf Persönlichkeiten wie Fred Hampton, der rivalisierende Gangs vereinigte und von der Polizei getötet wurde? Hampton, Teil der Black Panther Party in Chicago, stieg schnell zum stellvertretenden Vorsitzenden auf und handelte einem Friedenspakt zwischen rivalisierenden Banden aus. Später wurde er im Schlaf von der Polizei erschossen. Man beachte auch, dass die Trainingsanzüge aussehen wie die von Squid Game, was eine Darstellung des Kapitalismus ist, wie die Menschen am Boden (die Ärmsten der Ärmsten) weiterhin untereinander um das Geld an der Spitze kämpfen, was nichts bringt. Nun zur Performance von SZA: Bei der Performance steht sie auf einem umgekehrten Dreieck, was die Energie der weiblichen Göttinnen bei der Erschaffung der Welt symbolisiert, eine Tatsache, die in unserer patriarchalischen Gesellschaft, die häufig (immer noch) Frauen den Männern unterordnen, nicht erwähnt wird. In Anbetracht der Tatsache, dass SZA anschließend von Menschen in roten und weißen Trainingsanzügen umgeben ist, könnte eine Anspielung auf Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ sein. In dem literarischen Werk übernehmen die christlich-fundamentalistischen „Söhne Jakobs“ die Macht in den USA und errichten die theokratische Diktatur Gilead. Frauen werden systematisch entrechtet: Sie dürfen kein Eigentum besitzen, haben sich Männern unterzuordnen und sind auf ihre Funktion als Gebärmaschinen reduziert. Zensur, Überwachung und Gewalt sichern die Herrschaft. Ist dies eine Anspielung auf die politischen Entscheidungen Trumps im Hinblick auf die gesellschaftliche Stellung der Frauen?
So fügt sich auch die Aussage von Onkel Sam ein, der wieder herauskommt und sagt: „Ja, das ist es, was Amerika will, schön und ruhig, vermasselt es nicht.“
Lamar antwortet unmittelbar vor seinem Superhit “Not like us” mit “40 Acres and a Mule – This is bigger than the music“ (Anspielung auf die Versprechen an Schwarze). Der US-Kongress plante nach dem amerikanischen Bürgerkrieg eine Entschädigungszahlung für die afroamerikanische Bevölkerung in Höhe von 40 Morgen Land und einem Maulesel pro Familie. Das sogenannte „Forty Acres and a Mule“-Gesetz von 1865 wurde jedoch nie ratifiziert, da es nicht die notwendige Zustimmung des Kongresses erhielt. Dennoch betrachten politisch engagierte Afroamerikaner das Martyrium ihrer aus Afrika verschleppten Vorfahren als „Verbrechen des Jahrtausends“ und haben die gebrochene Zusage nicht vergessen. Man kann das Spiel lesen, aber man kann keinen Einfluss vortäuschen, was buchstäblich die Art und Weise ist, wie die Musikindustrie und das politische System in Amerika aufgebaut sind. Kendrick nutzt seinen Einfluss auf der größten Bühne vor dem neuen Präsidenten des Landes (der das Stadium zum Auftritt Lamars verlässt), um uns alle daran zu erinnern, für das einzutreten, woran wir glauben. Der einzige offensichtliche Protest in der Halbzeitpause kam von Zül-Qarnaįn Nantambu, einem Mitglied der Tänzer. Nantambu hatte während des Auftritts von Lamar ohne dessen Wissen eine Flagge des Gazastreifens und des Sudans entrollt und wurde daraufhin von den Ordnungshütern in Gewahrsam genommen. Die Polizei fragte Lamar sogar, ob er Anzeige erstatten wolle, was er wenig überraschend ablehnte. Das Bild eines Menschen, der angegriffen wird, weil er seine Meinung äußert, ist eindrucksvoll, insbesondere vor dem Hintergrund der Themen, mit denen sich Lamar in seinem Auftritt befasst. In diesem Moment wurde die Realität zu einer brutalen, verstörenden visuellen Kulisse für die Kunst. Nantambu handelte vermutlich unabhängig und aus tiefster Überzeugung; seine Tanzkollegen reagierten trotzdem mit erhobenen Fäusten in Solidarität. Und dann der ikonische Schlussakt (ja, auch ein Seitenhieb an Drake): Als er Serena Williams auf die Bühne holt, die nach einem gewonnenen Tennismatch im Wimbledon für ihren Crip Walk besonders online gescholten wurde, war dieser Auftritt eine Botschaft des Trotzes an das kollektive Bewusstsein und eine Erinnerung daran, dass es um schwarze Kultur geht. Der Tanz, eine Hommage an ihre Wurzeln in Compton, wurde zu einem weiteren Angriffspunkt, da viele der erfolgreichen Tennisspielerin vorwarfen, „Ghetto“ zu sein, weil sie es wagte, ihrer Heimat zuzujubeln und sich über ihren Sieg zu freuen. Doch letztlich ist der Tanz ein Symbol für unumwundenes Schwarzsein.
Ein weiteres Thema ist die Sicherheit während der Spiele aufgrund der weltweiten Konflikte, Kriegsherde und innenpolitischen Kämpfe. Es ist mit einer erhöhten Terrorgefahr zu rechnen. Besonders die Pariser Polizei scheint aktuell noch nicht ausreichend für Sportgroßveranstaltungen und den Umgang mit Fans und Zuschauern geschult zu sein; auch ist eine Militarisierung der Pariser Polizei zu befürchten. Während des Champions-League-Finales zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool im Stade de France im Mai 2022 kam es zu Gewalt und dem Einsatz von Tränengas durch die Bereitschaftspolizei (siehe Sportschau, 2022). Besonders das Vorgehen der Sicherheitskräfte wurde national als auch international scharf kritisiert. Die Behörden betonten, dass sich ein solches Ereignis nicht wiederholen werde.
Paris wird so während der Spiele zu einer Festung mit einer hohen Polizeipräsenz und umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen, einschließlich eines fragwürdigen Videoüberwachungssystems, das künstliche Intelligenz einsetzt. Organisationen wie Amnesty International haben diese Überwachungsmethoden als Massenspionage verurteilt (vgl. Schneider, 2024).
Um die Sicherheit der Olympischen Spiele in Paris zu gewährleisten, hat Frankreich im Januar 2024 2.185 Polizisten von 46 internationalen Verbündeten angefordert. Nach Angaben des Innenministeriums bezog sich die Bitte um ausländische Unterstützung auf die Bewältigung der Herausforderungen, die mit den Spielen verbunden sind, sowie auf die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit (vgl. Agence France Presse, Le Monde, 2024). Parallel dazu kündigte Deutschland im März 2024 an, eine unbestimmte Anzahl von Polizisten für die Olympischen Spiele nach Frankreich zu entsenden. Im Gegenzug sind französische Kräfte im Juni und Juli 2024 zur Unterstützung der Fußball-Europameisterschaft nach Deutschland gekommen (vgl. Neuerer, 2024). Während der Olympischen Spiele werden insgesamt 45.000 französische Polizisten und Gendarmen täglich im Einsatz sein, mit Unterstützung von zusätzlich 18.000 Soldaten. Dazu kommen weitere 18.000 bis 22.000 private Sicherheitskräfte (vgl. Agence France Presse, Le Monde, 2024). Die Stadt wird regelrecht abgeriegelt. In Anbetracht der Tatsache, dass alle französischen Polizeireserven und viele Soldaten in Paris im Einsatz sind, ist es schwierig, ein anderes wichtiges Ereignis als die Olympischen Spiele im Auge zu haben. Großveranstaltungen in ganz Frankreich wurden abgesagt. Die finanziellen Aufwendungen für den Polizeieinsatz sowie die militärischen Maßnahmen lassen sich gegenwärtig noch nicht abschätzen, werden jedoch mit Sicherheit einen hohen Millionenbetrag erreichen. Die Kosten für die Eröffnungsparade auf der Seine werden auf 120 bis 130 Millionen Euro geschätzt, was einer Verdreifachung gegenüber den Spielen in London entspricht (vgl. Holzer, 2024).
Die angespannte politische Lage und die Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt sind keine guten Voraussetzungen für friedliche Spiele. Eine Vielzahl von Medien berichtet wenige Tage vor Beginn der Olympischen Spiele über die angespannte Lage zu Sicherheitsbarrieren und Kontrollpunkten. Ganze Straßenzüge wurden mit Sicherheitszäunen abgesperrt und die Bevölkerung muss eine Vielzahl von Checkpoints durchlaufen, eine Situationsbeschreibung, die sich dem Ausrufen des Kriegsrechts nähert, auch durch die Militarisierung der Hauptstadt. Als Begründung wird die Angst vor einem Terroranschlag während der Olympischen Spiele angeführt. Dies zeigt, dass das Vertrauen in die grundlegenden Freiheiten weltweit einen signifikanten Wandel erfährt, mit Paris als Beispiel. Selbst die Feierlichkeiten im Rahmen der Eröffnungsfeier der sportlichen “Friedensspiele” sind von einer Atmosphäre der Angst geprägt.
Die Terroranschläge im Jahr 2015 markieren einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der französischen Hauptstadt. Sie waren der Auslöser für eine grundlegende Veränderung der Sicherheitsvorkehrungen in Paris. Zu den sichtbaren Zeichen dieser Transformation gehören die Mauern und Zäune, die rund um die bekanntesten Sehenswürdigkeiten errichtet wurden.
Infolge der Einstufung als Gefährder gemäß französischem Anti-Terror-Gesetz von 2017 sehen sich aktuell über 150 Personen mit einem Hausarrest für die Dauer von drei Monaten konfrontiert, der im Kontext der Olympischen Spiele verfügt wurde. Eine weitere Gruppe von Betroffenen ist verpflichtet, sich täglich zur gleichen Zeit auf einer Polizeistation zu melden. Dabei wurde offenbar nicht mit der gebotenen Sorgfalt sichergestellt, dass sämtliche Betroffenen hinreichend über die Gründe ihrer Listung informiert wurden (vgl. Ayad, 2024).
Eine Woche vor der Eröffnungsfeier wurden die gravierenden Einschränkungen für die Einwohner von Paris Realität, der Zugang zur Seine wurde zu allen Orten im Umkreis von 100 Metern untersagt. An stark frequentierten Verkehrswegen wurden Absperrungen installiert, welche die Bürgersteige von der Fahrbahn separieren. Lediglich Bewohner*innen und Mitarbeitender*innen sind berechtigt, das Gebiet zu betreten. Fußgänger benötigen eine Genehmigung, den sogenannten “Pass Jeux”. Die Erteilung dieser Genehmigung ist jedoch nicht garantiert. Ohne diesen „Pass Jeux“ oder eine Akkreditierung für die Spiele selbst ist der Zutritt nicht möglich. Hinzu kommen weitere tiefgreifende Maßnahmen im gesamten Stadtgebiet. Es wurde eine größere „rote“ Zone in Paris definiert, in der jeglicher Fahrzeugverkehr untersagt ist, sowie eine „blaue“ Zone, die für den Großteil der Verkehrsteilnehmer zugänglich ist. Inklusive der Périphérique, der Ringstraße um Paris, sind die meisten Autobahnen, welche Paris mit den Vororten verbinden, als „Paris 2024“-Routen für die Olympischen Offiziellen ausgewiesen. Da die Périphérique selbst im Sommer unter einem starken Verkehrsaufkommen leidet, werden die exklusiven Olympiaspuren dazu führen, dass eine Fahrspur für den regulären Individualverkehr verloren geht. Die Hoffnung der Organisatoren ist, statt der Nutzung des eigenen Fahrzeugs auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgegriffen wird. Doch auch für die Metro zeichnet sich für den Zeitraum der Olympischen Spiele eine Überlastung ab (siehe unten). Zudem sind mehrere wichtige Metrostationen aufgrund von Sicherheitsbedenken geschlossen.
Die Implementierung von Sicherheitsschleusen führt zu einer signifikanten Beeinträchtigung des Alltags der Pariser Bevölkerung. Selbst Besuche in Supermärkten und Apotheken werden zu einem gewagten Unterfangen. Die Möglichkeit, Essensbestellungen rund um die Seine aufzugeben, ist nicht länger gegeben, da die Fahrer der Lieferdienste oft an den Sicherheitskontrollpunkten abgewiesen werden, da ihnen die erforderliche Zugangsberechtigung fehlt. In der Konsequenz ist eine Zustellung nicht möglich.
Aus diesem Grund wird seitens der städtischen Behörden empfohlen, die Stadt zu verlassen oder zu Hause zu bleiben. Eine Militarisierung der Spiele birgt das Potenzial, eine Reihe von negativen Begleiterscheinungen zu generieren. Die implementierten Sicherheitsmaßnahmen resultieren in einer erhöhten Anspannung. Die Furcht vor terroristischen Anschlägen sowie die Einschränkung von Bürgerrechten, insbesondere der Bewegungsfreiheit, führen zu einer Erosion des olympischen Ideals, die Spiele für Frieden und Völkerverständigung zu nutzen. Diese Entwicklung hat nicht nur eine Zunahme autoritärer Tendenzen zur Folge, sondern eben auch eine Verringerung der Akzeptanz des olympischen Ideals. In diesem Kontext ist zu hinterfragen, ob die verstärkten Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen bei erfolgreichen Spielen womöglich auch im Anschluss zur Überwachung der Bevölkerung genutzt werden. Die Frage, ob Paris in ständiger „Kriegsbereitschaft“ verbleibt, wie dies der Staat Oceania in Orwells dystopischer Welt (1984) tut, ist durchaus berechtigt. Daher kommt es bereits während, aber auch nach den Spielen zu erheblichen sozialen und politischen Spannungen, die sich aufgrund der hohen ökonomischen Belastungen auch über die Spiele hinaus manifestieren. Kürzungen des Budgets in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und sozialen Diensten für Städte, die als Gastgeber fungieren, stellt eine fest etablierte olympische Tradition dar. Dies kann zu einem Verlust des Vertrauens in Behörden und Institutionen führen. In Anbetracht der gravierenden Einschränkungen stellt sich die Frage, ob ein Gigaevent dieser Größenordnung in einer dicht besiedelten Metropole wie Paris (vgl. Teil 1) für die ansässige Bevölkerung eine Legitimation und einen Mehrwert bietet.