Deutsche Athleten, so wird der Öffentlichkeit häufig suggeriert, profitieren von ihrem Sport und können sich finanziell über diesen absichern. Diese Annahme wird durch deutsche Stars wie Mesut Özil, Dirk Nowitzki, Angelique Kerber oder Mats Hummels sowie internationale Top-Stars in den jeweiligen Sportarten und die starke Kommerzialisierung des gesamten Sports gestützt, doch dies ist für die Mehrzahl der deutschen Athleten fernab jeglicher Realität. Fußballern und einer geringen Anzahl von Athleten anderer Sportarten, oft Ausnahmeathleten einer ganzen Generation, gelingt eine Absicherung durch den Leistungssport. Für alle anderen Spitzensportler ist der wirtschaftliche Professionalisierungsgrad verschwindend gering, die Partizipation am Leistungssport ist ein soziales und persönliches Risiko (Update, urspr. Bendrich, 2015).
Breuer, Wicker, Dallmeyer und Ilgner kommen in ihrer aktuellen Studie1 zu sozialen Rahmenbedingungen deutscher Spitzensportler zu dem Ergebnis, dass die befragten deutschen Spitzensportlern durchschnittlich eine 60-bis-70-Stunden-Woche zu absolvieren haben und ihnen 18.680 Euro brutto (Männern = 19.390 €, Frauen = 17.750 €) im Jahr bzw. 1556 € pro Monat zur Verfügung stehen (vgl. Breuer et al, 2018, 1-2, 41). Die Topverdiener z.B. aus Profiligen (z.B. Profis aus Spielsportarten, Profi-Wintersportler und besonders erfolgreiche Sportler) sind in die vorliegenden Berechnungen nicht mit einberechnet. Zwar würden sie die Zahlen nach oben verändern, jedoch würden sie nicht mehr das Problem der vielen Leistungssportler widerspiegeln.
Entlohnt wird dieser Gruppe der Spitzensportler im Schnitt mit 7,41 Euro pro Stunde (2010 = 7,38€) – der gesetzliche Mindestlohn liegt bei 8,84 Euro (vgl. Breuer et al, 2018, 36). Viele von diesen Athleten verdienen deutlich weniger. Es gibt Fälle in denen Nachwuchsathleten Hartz IV als zusätzliche finanzielle Unterstützung benötigen um ihren Sport ausüben zu können. Im Vergleich dazu stehen z.B. dem deutschen Studenten laut der neue Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks im Mittelwert 918 Euro an Einnahmen zur Verfügung (vgl. FAZ, 2017).
Damit wird deutlich, dass die deutschen Spitzenathleten und besonders Nachwuchssportler sowie studentische Spitzensportler sich weiterhin am und teilweise auch deutlich unter dem Existenzminimum bewegen und immer noch mit geringen Einnahmen zu kämpfen haben. Um Talente im Nachwuchsbereich auch zukünftig für den Leistungssport begeistern zu können, bedarf es einer deutlich umfangreicheren finanziellen Unterstützung und besseren Rahmenbedingungen (siehe z.B. Spitzensportgeld, hier im Blog).
Der wöchentliche Gesamtzeitaufwand eines deutschen Spitzensportlers für eine duale Karriere beträgt zwischen 50-60 Stunden pro Woche. Die Athleten benötigen insgesamt 32 (2010: 31,8) Stunden für ihren Leistungssport (z.B. Training, Wettkämpfe, Fahrten, Physiotherapie, etc.) und 24 (2010: 27,0) Stunden für Arbeit/ Ausbildung pro Woche (vgl. Breuer et al., 2018; Breuer/ Wicker, 2010, 1, 27). Für die studentischen Spitzensportler bedeutet dies, dass häufig keine weiteren Ressourcen neben dem Training und dem Studium zur Verfügung stehen, um durch einen Nebenjob noch die persönliche finanzielle Situation aufzubessern. Zusätzlich studieren die studentischen Spitzensportler oft länger und haben durch den späteren Berufseinstieg weitere erhebliche finanzielle Verluste (vgl. Borggrefe et al., 2009, 145).
Hinsichtlich der zeitlichen Belastung differenzieren Breuer et al. und Breuer und Wicker zwischen den unterschiedlichen Kadern. Der spitzensportliche Aufwand ist nahezu gleich,2 jedoch zeigen sich große Unterschiede im finanziellen Vergleich. A-Kader Athleten erhalten mit 13,49€ (2010 = 13,41€) einen erheblich besseren Brutto-Stundenlohn als C-Kader-Athleten, welche auf nur 3,74 € (2010=2,85€) kommen (vgl. Breuer et al. 2018, 38; Breuer/ Wicker, 2010, 27). Der Brutto-Stundenlohn eines deutschen Athleten liegt bei durchschnittlich 8,84€ (2010=7,38 €) und beträgt damit nur die Hälfte des Brutto-Stundenlohns im Baugewerbe (ca.16 €). Insgesamt über 30 Sportarten liegen unterhalb dieses Durchschnitts, wobei die Trampolinspringer mit 3,49€ (2010 die Volleyballer mit 1,89 €) und Reiter (3,21€) den niedrigsten Stundenlohn erhalten (vgl. Breuer et al., 2018, 39). Die Zahlen aus 2010 verdeutlichen, dass Athleten nach einem Olympiasieg den höchsten Stundenlohn (22,21 €) verzeichnen (vgl. Breuer/ Wicker, 2010, 26). Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich einige der Topathleten zurückhaltend bezüglich Veränderungen und Reformen äußern, um nicht das Image eines Quertreibers zu erhalten. Mit der Teilnahme an den Olympischen Spielen sind sie beim größten internationalen Wettkampf angekommen, was für sie eine finanzielle Verbesserung und Absicherung darstellen kann, auch wenn dies nicht für alle gilt und in diesem Zusammenhang die Regel 40.3 der Olympischen Charta dem guten finanziellen Verdienst der Athleten im Weg steht (siehe dieser Blog). Insgesamt spiegelt sich jedoch die starke zeitliche Belastung nicht ansatzweise in der Entlohnung der Sportler wider.
Das Brutto-Einkommen vieler deutscher Athletinnen und Athleten beträgt durchschnittlich 1.556 € pro Monat. Dieser Durchschnittswert aus einer Befragung aus dem Jahre 2018 verschleiert die Tatsache, dass sich ein wesentlicher Teil der Athletinnen und Athleten unterhalb dieses Einkommens bewegt. Bei genauerer Betrachtung der einzelnen Sportarten sind eminente finanzielle Unterschiede festzustellen. In einigen Sportarten bewegen sich mit ihrem Brutto-Einkommen unterhalb der europäischen Armutsgrenze (vgl. Diekmann, 2017).
Hohe Ausgaben für die Ausrüstung – im Schnitt 430€ (2010=243 €) pro Monat – verringern das monatlich verfügbare Einkommen weiter. Bei Abzug der Miete vom monatlich verfügbaren Einkommen bewegen sich viele der Athleten unterhalb des aktuellen Hartz IV Satzes (2014 betrug dieser 391 €) (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2013a). Viele Sportarten liegen sogar mit nur einem Bruchteil des Hartz IV Satzes darunter. 2010 bildeten die Bogenschützen und Eishockeyspiele das Schlusslicht mit 170€ bzw. 196 € verfügbarem Einkommen (vgl. Breuer/ Wicker, 2010, 30).
Die Gruppe der C-Kader-Athleten verfügt über ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 825€ (2010=320 €). Im Vergleich dazu erhält ein B-Kader Athlet mit 1889€ (2010=715€) bereits mehr als das Doppelte. Die Zahlen der C-Kader-Athleten veranschaulichen die Gefahren und Engpässe des Spitzensports in Deutschland. Die Entscheidung für den Spitzensport auch bei vorhandenem Potential und Talent ist mit großen Risiken verbunden, besonders im Nachwuchskader (C-Kader) (vgl. Breuer et al., 2018).
Zusätzlich belasten die Verschärfungen im sozialversicherungsrechtlichen Bereich und die Begrenzung der Bezugsdauer des Kindergeldes die Spitzensportler, da diese Bezüge Elemente für die Finanzierung des alltäglichen Lebens sind. Durch die zweifache Belastung benötigen studentische Spitzensportler mehr Zeit für ihr Studium als ihre Kommilitonen. Wenn auch das Kindergeld mit dem 26. Geburtstag wegfällt, in einem Zeitraum, der in einigen Sportarten mit dem Leistungshöhepunkt gleichgesetzt werden kann, bedeutet dies für Spitzensportler wesentliche finanzielle Einbußen und kann in der „Entweder-oder-Entscheidung“ und Resignation enden.
Mehr als ein Drittel der Athleten sorgen sich um ihre finanzielle Zukunft und fühlen sich nicht abgesichert, was angesichts der oben genannten Zahlen und der Erkenntnis, dass sich ein Großteil der deutschen Spitzensportler finanziell auf Hartz IV- Niveau bewegt, nicht verwunderlich ist (vgl. vgl. Breuer/ Wicker, 2010, 39; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2010). Wenn sich in absehbarer Zeit die Situation der deutschen Spitzensportler finanziell deutlich verbessert, werden in vielen Sportarten Talente das persönliche biographische Risiko Spitzensport in Zukunft nicht mehr eingehen bzw. sich den anwachsenden Tätigkeiten in anderen gesellschaftlichen Bereichen zuwenden (urspr. Bendrich, 2015). Es wird eng für den deutschen Spitzensport.
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Teil 10: Warum an der Unabhängigkeit der Athletenkommission kein Weg vorbeiführt.
Teil 8: Der Zwang zum Staatssport – Die Spitzensportförderung innerhalb der Bundeswehr im Fokus.
Teil 4: Themen: Das Potentialanalysesystem PotAS und die Folgen bzw. Fragen
Der DOSB und seine Spitzensportreform: Weniger ist mehr? Link: https://derballluegtnicht.com/…/der-dosb-und-seine-spitzen…/