Alles begann mit dem stillen Protest Colin Kaepernicks im Spätsommer 2016 – erst saß er, später kniete er, um auf die Polizeibrutalität in den USA aufmerksam zu machen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Afro-Amerikaner in den USA durch die Kugel eines Polizisten getötet zu werden, ist fünf Mal höher als für weiße Staatsbürger. Diese Tatsache ist schwer hinnehmbar und nicht akzeptabel. Deshalb begann Kaepernick seinen Protest im Sitzen, nach einem Gespräch mit einem Soldaten entschied er sich, niederzuknien. Bis heute betont Kaepernick sein Protest gelte nicht dem Militär.
AUSLÖSER
Die grassierende Polizeigewalt und die schockierenden Morde an unschuldigen unbewaffneten Afro-Amerikanern in den USA waren der Auslöser für seinen Protest. Kaepernick sah sich gezwungen, ein Zeichen zu setzen. Besonders die Tode von Philando Castile, Alton Sterling und Tamir Rice erschütterten ihn und die Öffentlichkeit. Hinsichtlich seiner Gesellschaftskritik war Kaepernick äußerst konkret. Deutlich konkreter als Bewegungen wie Black Lives Matter, die wichtig sind, doch in der Öffentlichkeit abstrakter wirken. Seit dem Beginn des Protestes von Kaepernick wurden in den USA bis heute 41 unbewaffnete Menschen erschossen.

TRUMP EFFEKT
In der vergangenen Woche kam es dann zum Trump-Effekt innerhalb dieser gesellschaftlich relevanten Diskussion. Erstmals äußerte sich US-Präsident Trump bei einer eigenen Wahlveranstaltung in Alabama und kritisierte den Protest der Athleten während der Nationalhymne. Er bezeichnet den Protest der Athleten gegenüber der Hymne und Flagge als respektlos und betitelte die Spieler als Hurensöhne, zudem forderte er die NFL Besitzer – einige von ihnen öffentliche Trump-Supporter bzw. Freunde (Jerry Jones, Besitzer der Dallas Cowboys unterstützte den Trumps Wahlkampf einst mit 1 Mio. Dollar und war selbst Teil eines „segregated teams“ im College, einem „nur weiße Spieler-Team“) – auf, protestierende Spieler zu feuern. Nun legt Trump abermals nach und behauptet, die Besitzer fürchten sich vor ihren Spielern.
VOR TRUMPS ÄUßERUNGEN
Bevor Trump die Geschehnisse monierte, war die Anzahl an kritischen Äußerungen seitens der Athleten überschaubar. Etwa zehn Sportler wie Doug Baldwin, Michael Bennett, Malcolm Jenkins oder Colin Kaepernick äußerten sich in den letzten Monaten kontinuierlich und ausdauernd zum alltäglichen Rassismus und der Polizeigewalt. Spieler wie Doug Baldwin von den Seattle Seahawks oder Malcolm Jenkins (streckt vor jedem Spiel als Protest die Faust in den Himmel) von den Philadelphia Eagles, initiierten in dieser Zeit in Kooperation mit der Polizei Aufklärungsprogramme und entwickelten sog. Grass-Roots-Projekte (eine gesellschaftliche Initiative, die aus der Basis der Bevölkerung entsteht) um die Bevölkerung zu einem konstruktiven Miteinander mit der Polizei zu bringen. Zudem fordern sie eine bessere Ausbildung für Polizisten.

Timeline Colin Kaepernick Protest (Download pdf)
Vermutlich war es Trumps Plan, mit seinen Äußerungen die Aktivisten unter den Spitzensportlern zu isolieren bzw. zu diskreditieren und sie so womöglich aus ihren Arbeitsverträgen und ihren Positionen in der Öffentlichkeit zu verdrängen.
Was er nicht erwartet hatte, und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht kennt, ist der große Zusammenhalt eines Footballteams. Er unterschätzt „die Macht der Umkleidekabine“ mit all ihren Mythen und Geheimnissen. Teamsportler halten in schwierigen Zeiten zusammen, rücken bei Kritik noch enger zusammen. Viele Spieler nehmen die Kritik des Präsidenten an den Protestierenden persönlich, da sie sich ebenfalls angesprochen fühlen. Sie selbst kennen die schwierige und stagnierende Situation der schwarzen Bevölkerung in den USA. Die Antwort der Athleten fiel auch über den Football hinaus, deutlicher aus, als es Trump erwarten konnte. Selbst Athleten anderer Sportarten wie die politisch häufig diplomatischen Basketballer der NBA äußern sich sehr offensiv zu den Vorwürfen von Donald Trump. Selbst Superstars wie Lebron James, Chris Paul, Steph Curry oder Kobe Bryant beziehen nun Stellung. In der Vergangenheit hielten sich Superstars häufig zurück, denn sie mussten durch politische Äußerungen auch immer wieder finanzielle Einbußen befürchten und einen beruflichen Karriereknick erwarten. Sogar der beste Basketballer aller Zeiten, Michael Jordan, äußert sich bis heute nur reserviert. Danach gefragt, antwortete er in den 90ern: „Auch Republikaner kaufen Schuhe“.
Auch der allseits beliebte und hoch angesehene Trainer Gregg Popovich, selbst Teil des Militärs für über 5 Jahre, bezieht Stellung in der aktuellen Diskussion. Er bezeichnet den Präsidenten als Peinlichkeit für die gesamte USA. Popovich stellt fest, dass viele Weiße in den USA überhaupt nicht wissen was es bedeutet, als Weißer geboren zu sein (Stichwort „white supremacy“). Die Vorteile der Weißen sind systemisch, kulturell und psychologisch vorhanden. Noch immer fragen sich zu viele Weiße warum die Schwarzen nicht dafür dankbar sind, was bereits erreicht wurde. Dies Ansichtsweise ist in die Gesellschaft einzementiert. Popovich glaubt wie Michael Bennett, dass der Diskurs rund um die Themen Rassismus unangenehm sein muss, damit sich innerhalb der Gesellschaft etwas verändert. Es muss der bequemen weißen Bevölkerung unangenehm sein, über das Thema zu diskutieren, nur so kann es zu einem Umdenken kommen.
Nun sind es mehr als 200 Spieler in der NFL und weitere Sportler in verschiedenen amerikanischen Profiligen, die sich dem Protest angeschlossen haben und es werden mehr. Die Bewegung wächst – eine ermutigende Entwicklung! Auch die Mütter der Spieler mischen sich aufgrund er Äußerungen Trumps in die Diskussion mit ein, da sie im Leben der jungen Spitzensportler häufig eine zentrale Rolle spielen. Oftmals haben sie als Alleinerziehende und Hauptbezugsperson eine Schlüsselposition und genießen aus diesem Grund hohen Respekt in der Umkleidekabine der Spieler.
Trumps Äußerungen der vergangenen Tage sind der Ausgangspunkt für die aktuellen Entwicklungen, an denen sich hunderte von Sportlern aber auch Menschen aus der Bevölkerung beteiligen. Selbst Bildungsinstitutionen schließen sich landesweit den Protesten der Sportler an. Einige Staaten (z.B. Louisana und Texas) versuchen bereits, diese Proteste durch vorläufige Gesetze zu unterbinden.
VERSCHIEBUNG der DISKUSSION
Jedoch muss man auch feststellen, dass Trumps Tweets und Äußerungen die Rhetorik und Inhalt der Diskussion verändern. So kann man eine Verschiebung des Fokus der Diskussionen ausmachen. Weg von der ursprünglichen Kritik an der Polizeigewalt und dem alltäglichen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft, hin zu einer forcierten Diskussion über Einheit, Nationalstolz (Flagge / Hymne) und Respekt, initiiert durch einen narzisstisch veranlagten Egomanen und Präsidenten. Trump instrumentalisiert die Diskussion, um über den Nationalstolz und Einheit zu diskutieren. Dies war jedoch nie Sinn und Zweck der Protestierenden.
Spieler kämpfen für die Rechenschaft von Polizeivergehen, gegen den alltäglichen Rassismus in den Gemeinden und für die Vermeidung von Morden an unschuldigen Menschen durch die Polizei. Somit sind es Themen wie die systemische Unterdrückung von Schwarzen in der amerikanischen Gesellschaft und die Ineffektivität des Strafjustizsystems, die eine entscheidende Rolle spielen. Ausgangspunkt bleibt das Thema Polizeigewalt.

Rassismus in den USA (Download pdf)
Die jungen afro-amerikanischen Athleten sind nicht respektlos gegenüber der Flagge/ Hymne und dem Militär, vielmehr nutzen sie das wohl wertvollste Gut der amerikanischen DNA – den ersten Zusatzartikel der Verfassung – die Meinungsfreiheit (freedom of speech) – um auf ein aktuell gesellschaftlich relevantes Thema friedlich aufmerksam zu machen. Dies ist es, wofür die amerikanische Flagge eigentlich steht. Einen konstruktiveren Weg des Protestes gibt es nicht.
PROTESTTEIL DER AMERIKANISCHEN DNA
Gesellschaftlicher Protest und Ungehorsam im Spitzensport sind in den USA miteinander verwoben wie in keinem anderen Land. Bestes Beispiel hierfür ist Muhammad Ali. Er riskierte seine gesamte spitzensportliche Karriere und seine Freiheit für seine Ideale und seinen Glauben. Er wollte nicht Teil eines unsinnigen Vietnam-Krieges sein, auch wenn dies für ihn eine Gefängnisstrafe bedeutet hätte. Auch vor Rassismus und weiteren wichtigen gesellschaftlichen Themen schreckte er nicht zurück.

Der aktuelle Fall des Colin Kaepernicks erinnert in Teilen an John Carlos und Tommie Smith bei den Olympischen Spielen in Mexico City 1968. Beide streckten während der Siegerehrung ihre schwarzbehandschuhte Faust in den Himmel, das Symbol der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Black Power, die sich gegen die Diskriminierung der afro-amerikanischen Bevölkerung richtete. Der Australier Peter Norman, ein erklärter Gegner der White Australia Policy, hatte sich aus Solidarität dem Protest mit dem Tragen einer Plakette angeschlossen. Ihre gesellschaftskritische Aktion und Äußerungen im Hinblick auf den Rassismus in ihren Vaterländern hatte weitreichende Folgen für die Sportler. Auch sie hatten aufgrund ihrer öffentlichen Kritik bei der Siegerehrung – verkörpert durch die erhobene Faust auf dem Siegertreppchen – erhebliche persönliche und soziale Konsequenzen erleiden müssen. Im Anschluss an ihren Protest wurden sie vom Sport geächtet, sogar ihre Medaillen wurden ihnen aberkannt. Erst Jahrzehnte später erhielten und erhalten sie heute die Anerkennung und den Respekt, der ihnen gebührt. In einer ähnlichen Situation befindet sich Colin Kaepernick heute. Seit seiner Kritik hat er innerhalb der NFL keinen neuen Arbeitgeber finden können, und dies obwohl er laut der Statistiken zu einer der besseren Quarterbacks der National Football League gehört.
Die lange Tradition politischer Aktivisten im Spitzensport lässt sich mit Craig Hodges, Mahmoud Abdul-Rauf, dem Black Lives Matter Protest der WNBA Spieler aus dem vergangenen Jahr und dem Protest von Babe Ruth fortsetzen.
HISTORIE – DIE FLAGGE UND DER SPORT
Historisch gesehen geht die Verbindung des Sports, der Nationalhymne und der Flagge in den USA auf die letzte World Series mit Babe Ruth zwischen den Chicago Cubs und Boston Red Sox kurz nach Beginn des ersten Weltkrieg zurück. Aufgrund des Krieges und einem Anschlag auf das Bundesgebäude in Chicago war die Bevölkerung schwer für den Sport zu begeistern. Am 6. September 1928 während des siebten Innings der World Series spielte eine Militärband die Nationalhymne und Third Baseman Fred Thomas, ein Navy Soldat der extra für die World Series (1918) freigestellt wurde, salutierte der Flagge nachdem er die Hymne gehört hatte. Dies führte zu Jubel unter den Zuschauern. Das Publikum stimmte mit ein und das Stadion sang die Hymne; der Grundstein dieser Tradition, zunächst im Baseball und später in den anderen Sportarten, war gelegt.
Bis 2009 kamen die Spieler in der NFL erst nach der Nationalhymne auf den Platz. Erst als 2009 die Spieler von der Liga verpflichtet wurden, bereits vor der Hymne das Stadion zu betreten, hielt diese Tradition auch in der NFL Einzug. Seither kommt es zu einer zunehmenden Militarisierung des Football in seiner jetzigen Form, zu sehen unter anderem daran, dass im Jahre 2012 das US Department of Defense der NFL Millionen von Dollar zahlte, dass die Spieler auch dem Militär salutieren und an den Millionenbeträgen, die das Militär für Werbezwecke während der Footballspiele ausgibt. Zudem gibt es eine große Kollektion an Militärmerchandise bei den einzelnen Vereinen. Eine Tatsache, die in den Vorgaben des Militärs eigentlich verboten ist (Code: Respect for the flag). Diese Zahlungen waren dem Steuerzahler in den USA bis 2015 unbekannt. Senator McCain kritisiert bis heute, dass Kriegshelden für Marketingzwecke des Militärs missbraucht werden.
Schlussendlich muss man sich fragen warum Präsident Trump etwas zu friedlich protestierenden Sportlern sagt, sich jedoch bei Rechtsradikalen mit Nazi- oder Konföderierten-Flagge zurückhält. Die Argumentation dahinter, er könne es nicht tolerieren, wenn sich Athleten während der Nationalhymne und dem Hissen der Flagge hinknien, klingt absurd. Akzeptabel scheint es für ihn jedoch zu sein, wenn mit der Flagge Bier oder Merchandise verkauft wird. Trump wird damit zum Heuchler und Scheinheiligen.
Wie dieser Konflikt ausgeht bliebt offen. Offen bliebt auch, warum Trump diesen Konflikt sucht. Womöglich will er von innenpolitischen Querelen und Misserfolgen ablenken. Die Gesundheitsreform ist gerade zum dritten Mal gescheitert, die humanitäre Katastrophe in Puerto Rico wurde noch nicht einmal ernsthaft angegangen und auch seine Steuerreform scheint nicht ausgereift. Die innenpolitischen Misserfolge für Trump häufen sich in den letzten Tagen und fügen seiner Autorität als Präsidenten immer weiteren Schaden zu. Trump, so hat es den Anschein, braucht Erfolge um jeden Preis, um seine Anhängerschaft, die ihm langsam aus den Händen zu gleiten scheint, hinter sich zu halten. Es bleibt offen und abzuwarten, ob ihm diese fragwürdige Taktik nützt oder der Druck durch die Athleten noch größer wird und sich die Diskussion somit zum Trojanischen Pferd für den Präsidenten entwickelt.
Damit lässt sich begründen, warum „Sports and politics always mix.“, eng miteinander verwoben sind und eine strikte Trennung nicht möglich ist.