Colin Kaepernick zwischen Kapitalismus und sozialem Aktivismus

Kaepernick-Nike
Nike „Just Do It“ Kampagne 2018

Was soll man von dieser Nachricht halten? Colin Kaepernick wird nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen von Nike gesponsort, sondern zum 30. Jubiläum der “Just Do It” Kampagne, das offizielle Aushängeschild der Weltmarke. Es handelt sich um einen umfangreichen Vertrag mit einer eigenen Schuhlinie und weiteren Sportartikeln, zudem wird Nike die “Know Your Rights”- Kampagne von Colin Kaepernick in Zukunft offiziell finanziell unterstützen.Mit dem neuen “Star-Vertrag” steigt Kaepernick in die erste Riege der Athleten bei Nike auf. Nike, Hauptausrüster der NFL, wird zum Förderer des derzeit wohl politisch aktivsten Spitzensportler. Kaepernick, durch die NFL und ihre Vereine gezwungener Maße in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, wird somit das neue Aushängeschild des größten Sportausrüsters der Welt, der zugleich Hauptausrüster und Großinvestor der NFL ist. Wie passt das zusammen? Passt das überhaupt zusammen?Hintergrundinfo: Der vertragslose Quarterback (letzter Verein: San Francisco 49ers) hatte 2016 eine landesweite Debatte ausgelöst, als er knieend während der Nationalhymne gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner protestierte. Ihm schlossen und schließen sich seitdem immer noch zahlreiche Spieler an. Kaepernicks Karriere wurde unfreiwillig beendet, da keine der 32 Mannschaften dem Quarterback noch einen Vertrag anbietet, obwohl statistisch gesehen seine Qualitäten als Spielmacher deutlich über denen der meisten unter Vertrag stehenden Quarterbacks liegen.Sollte man diesen Deal generell verteufeln und Kaepernick hinsichtlich seiner Integrität hinterfragen?Natürlich wird Nike diesen Vertrag nicht nur aus reiner Nächstenliebe ausgehandelt haben. Und trotzdem ist es ein Erfolg, dass Nike nun den streitbaren und viel diskutierten Sportaktivisten Kaepernick, der seit einigen Tagen auch offiziell gegen die NFL aufgrund unlauterer Absprachen vor Gericht ziehen darf (der Klage wurde stattgegeben, siehe https://nyti.ms/2wuEieD), zum Aushängeschild macht.  Die finanzielle Unterstützung wird dem Sportler die Möglichkeit geben den Protest auch in Zukunft aufrecht zu erhalten, schließlich hat auch er einen erheblichen Anteil seines eigenen Vermögens in den Protest investiert.Doch Nike wird den Deal nicht nur abgeschlossen haben, weil die Firma den politischen und gesellschaftlichen Protest Kaepernicks als ehrenwert erachten. Vielmehr wird sich der Sportartikelhersteller aus Beaverton, Oregon genau überlegt haben, warum ein solcher Sponsorenvertrag für die Weltmarke Nike Sinn macht. Nike setzt auf Gewinner. In der letzten Saison war Colin Kaepernick, obwohl vereinslos, immer noch unter den Top 50 der Trikotverkäufe der NFL und dies ohne den kontinuierlichen Verkauf seines Trikots. Besonders die erhobenen Daten und Statistiken in der Konzernzentrale zum Konflikt NFL vs. Kaepernick und Trump vs. NFL Spieler wären in diesem Zusammenhang interessant. Warum erscheint der Nutzen für Nike größer als der Schaden? Sicher ist, die Entscheider in Beaverton werden wissen, dass Donald Trump sich zeitnah zu dieser Entscheidung äußern wird (erste Reaktion Trumps: „terrible message“). Auch das wird Nike in seine Berechnungen mit einbezogen haben, genau wie die möglichen wirtschaftlichen Einbrüche.

Bloomberg Just Did It
UPDATE 05.09.2018 Berechnung der Publicity in den ersten 19 Stunden nach der Bekanntgabe des Vertrages (vgl. Bloomberg, 2018)

Der Großteil der Republikaner lehnt den Protest Kaepernicks ab, die deutliche Mehrheit der Demokraten befürwortet ihn. Auch hier wird die Spaltung des Landes einmal mehr deutlich.Outside the Lines

Outside the Lines2
Vergleich Republikaner vs. Demokraten (Outside the Lines, 2018)

Der Weltkonzern scheint vor diesen negativen Konsequenzen aber nicht zurückzuschrecken. Zudem wissen wir, dass nur noch wenige der schwarzen Bevölkerung den Präsidenten unterstützen und einer der wichtigsten Zielgruppen für Nike in den USA (afro-amerikanische) Jugendliche sind. Zudem sind viele der Aushängeschilder der Weltmarke Afro-Amerikaner und weltweit beliebte und anerkannte Spitzensportler. Negative Konsequenzen für den Sportartikelhersteller zeigten sich bereits gestern nach der Bekanntgabe, als erste NFL-Fans ihre Nike-Produkte verbrannten und andere sich Gedanken über Kinderarbeit bei Nike machten. Den Tag davor trugen diese Fans die Produkte noch, jetzt hinterfragen sie die Weltmarke plötzlich kritisch.https://twitter.com/sclancy79/status/1036749717206691840 https://twitter.com/GovMikeHuckabee/status/1036772048184467456Doch was sind die Gedanken bei Nike? Denkt man strategisch und damit weitreichend in die ferne Zukunft? Wird Kaepernick womöglich Jahre später doch zu einem amerikanischen Helden, der soziale Veränderungen aufgrund seines Protestes herbeigeführt hat? Es gib durchaus Experten, die in Kaepernick einen modernen Muhammad Ali sehen. Diese Meinung scheinen auch die Entscheider bei Nike zu teilen. „Wir glauben, Colin ist einer der inspirierensten Sportler seiner Generation, der die Plattform Sport dazu nutzt, um die Welt zu verbessern“, sagt der nordamerikanische Markenvizepräsident für Nike, Gino Fisanotti (vgl. ESPN, 2018). Kaepernick wird bereits seit 2011 von Nike gesponsert.Gesellschaftlicher und politischer Protest scheint auch bei der Marke Nike en vogue zu werden. Nike ist gerade in den letzten Wochen mit dem derzeit wohl besten Basketballer der Welt Lebron James um die Welt getourt und hat sein Motto “More than an athlete” weltweit beworben. Nike scheut sich nicht mehr wie in der Vergangenheit politische und gesellschaftliche Protest zu unterstützen. Der Konzern scheint speziell bei Lebron James und Serena Williams erkannt zu haben, dass diese Bewegungen mehr sind als ein leichtes Strohfeuer. Die Spitzensportler scheuen sich nicht mehr sich auch politisch und gesellschaftlich zu äußern. Besonders Anfeindungen hinsichtlich ihres sozialen und gesellschaftlichen Engagements scheinen Sportler wie Lebron James zusätzlich zu motivieren sich für die Schwachen der Gesellschaft einzusetzen ( Fox-Moderatorin Laura Ingraham kritsierte James für seine politischen Statements zur Politik Donald Trumps – „Shut up and dribble“).  Ferner wächst der Zusammenhalt unter den politisch aktiven Athleten; erst am Wochende lobte Williams die Footballspieler Kaepernick und Reid.

“I think every athlete, every human, and definitely every African-American should be completely grateful and honored how Colin and Eric are doing so much more for the greater good”.

Die Athleten sind hinsichtlich einer solchen Entwicklung auch nicht mehr von Großsponsoren wie Nike zu stoppen. Die Strategie der Athleten scheint aufzugehen; sie erhalten besonders von den unter 30-Jährigen viel Zuspruch für ihr gesellschaftliches Engagement.Für Nike ist es nicht neu Konflikte mit den großen Profiligen einzugehen. Bereits in den Achtzigern lebte die Sportartikelfirma besonders von der Rebellion und dem Ungehorsam. So wurde es damals Michael Jordan verboten, seine farbigen Schuhe zu tragen. Doch statt den Konflikt mit der National Basketball Association (NBA) beizulegen, zahlten sie jede einzelne Strafe, die Michael Jordan für das Tragen der Schuhe erhielt und machten ihn als schwarzen Athleten zum Aushängeschild der Firma. Provokation ist bei Nike Prinzip. Ein solches Vorgehen ist für Sportartikelhersteller aus der Nähe von Portland somit nichts Neues (z.B. Charles Barkley – „I am not a role model“, Andre Agassi in Jean Shorts auf dem Tennisplatz usw.). Die politische Dimension hingegen schon.Doch wie weit geht diese politische und gesellschaftliche Provokation durch die Nike-Werbungen ? Man darf nicht vergessen, dass Nike auch erhebliche wirtschaftliche Interessen in Bezug auf die NFL hat. Der Vertrag mit der amerikanischen Profiliga ist umfangreich. Eine generelle Eskalation des Streits zwischen Kaepernick und der NFL wird nicht das Ziel sein. Und eins tut der Sponsor nicht: Nike vermeidet es die Themen Polizeigewalt gegen schwarze Bürger und Rassismus konkret anzusprechen. In den Statements des Konzerns wird die wahre Message Kaepernicks nicht präzise formuliert (siehe Plakat oben), vielmehr steht der rebellierende Sportler abermals im Vordergrund. Die politische und gesellschaftliche Dimension bleibt in den Werbemaßnahmen somit vage.https://twitter.com/Kaepernick7/status/1037387722107830272Zudem kann man sich natürlich auch die Frage stellen, ob Nike nicht auch durch solch einen Vertrag versucht, Kaepernick den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auszuschließen ist es nicht, die Kritik wird groß sein, warum Kaepernick seinen Protest nun kommerzialisiert, sich für den Protest “bezahlen” lässt.Ist diese Kritik aufrechtzuerhalten? Nein! Kaepernick hat persönlich viel riskiert und investiert, sodass man ihm nicht vorwerfen kann, dass er seinen Protest mit einem wirtschaftlichen Hintergedanken betreibt. Bis heute steht Kaepernick zu seiner Herkunft, seiner Kultur, seinem Afro, seinem Bart, seinem Swag, seinem Protest, seinen Errungenschaften, seiner Stiftung, seinen Unterstützern, seinem Talent und seiner Geschichte. Es wird sich zeigen, wie Kaepernick sich in Zukunft positioniert.Ob er aufgrund der offiziellen Partnerschaft mit dem Hauptsponsor der NFL sein Vorgehen und Auftreten verändern wird, oder er seinem Anliegen treu bleibt –gilt es kritisch zu beobachten. Konzerne finanzieren normalerweise keine politischen Rebellionen, sie kontrollieren und zerstören sie im Normalfall. Wenn es jemanden gelingen kann, dieser Erkenntnis zu widerlegen, dann ist es Kaepernick.  Eins steht schon heute fest, seinen Job zu verlieren, weil man für grundlegende Prinzipien eintritt und auf Missstände in der Gesellschaft hinweist, ist falsch. Einen Werbevertrag anzunehmen, um der Bewegung neuen Schwung zu geben, nicht. Es bleibt interessant.

Autor: derballluegtnicht

Writes about the politics of sports. For him sports and politics always mix.

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