„Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“ – Wie unabhängig sollte eine Athletenkommission sein? Frust über Sportdeutschland (Teil 7)

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Kette oder Ringe – Was ist der Olympische Gedanke?  (Photo: Ian Burt)

Eine Athletenvertretung, die ernstgenommen und auf Augenhöhe mit den Verbänden argumentieren möchte, muss vollständig unabhängig sein und sich die Worte Perikles’ zu Herzen nehmen. Aktuell setzen sich die Athletenvertreter zwar für eine Unabhängigkeit ein, aber mit dem Wissen, ein persönliches biographisches Risiko einzugehen, agieren sie vorsichtig. Die meisten Athleten sind traditionell Einzelkämpfer, verhalten sich aufgrund ihrer fehlenden Erfahrungen unmündig und zurückhaltend und werden nicht selten ausschließlich durch das System selbst beraten. Kritisches Denken kommt durch die gegebenen Machtstrukturen oft zu kurz. Zudem sind die Sportler in den aktuellen Strukturen des Systems sozialisiert und haben nur in diesem Rahmen Erfahrungen gesammelt. Sie wissen, dass jede Äußerung Auswirkungen auf die Förderung haben kann. Das Monopol der Verbände macht es einem Athleten unmöglich, sich unabhängig von einem Verband für sportliche Wettkämpfe zu qualifizieren. Kritische Athleten werden nach ihrer Karriere oft nicht für weitere Aufgaben im Spitzensport herangezogen. Zudem fehlen den Athletensprechern die nötigen zeitlichen und finanziellen Kapazitäten sowie die Legitimation einer echten Interessensvertretung, um dem DOSB die Stirn zu bieten.

Die Athleten bewegen sich in einem historisch gewachsenen System der Abhängigkeiten, das seine Athleten durch die Förderung über die Verbände hörig macht. Der Athlet wird durch die Fokussierung auf Medaillen weiter „entmündigt“. Sowohl national und international haben die Athleten bis heute keine eigene, unabhängige Stimme (keine Interessensvertretung bzw. international gibt es bereits Optionen, die sich jedoch bis heute auf Teilbereiche oder einzelne Sportarten beziehen). Sie werden durch das Monopol der Spitzenverbände klein gehalten und haben z.B. im DOSB hinsichtlich der Fragen der Vermarktung, die Athletinnen und   Athleten betreffen, lediglich Mitspracherecht, können z.B. während Olympia durch den Paragraphen 40 der olympischen Charta als Vertragsknechte bezeichnet werden, da sie lediglich für Unterkunft, Essen, Transport “entschädigt“ werden und parallel die Sponsoren ihres Dachverbandes präsentieren. Von den Einnahmen der Wettkämpfe erhalten sie nichts.

Die aktuelle Athletenkommission wird durch eine Referentin des DOSB beraten. Diese verwaltet die Finanzen der Kommission und ist vom DOSB angestellt

Die Arbeit der Kommission wird vollständig vom DOSB finanziert. Damit werden die Athletenvertreter zwar konsultiert, aber können nicht wirklich mit dem DOSB verhandeln. Um eine echte Interessensvertretung (Kommission = Internes Beratungsorgan) zu sein, benötigt die Athletenkommission eigene Strukturen.

Insbesondere Versuche der Beeinflussung von Seiten des Dachverbands und der Verbände, von denen auch die Athletenkommissionsmitglieder abhängig sind, machen ein eigenständiges Agieren schwierig. Der DOSB scheint von den aktuellen Bestrebungen wenig angetan zu sein und versucht bereits hinter den Kulissen Druck auf die Athletenkommission auszuüben. So hört man aus Athletenkommissionskreisen von der Androhung des DOSB, den Sitz des Athletensprechers im Präsidium zu streichen, ein weiteres Indiz für die Nervosität der leitenden Funktionäre. Das Bestreben der Athleten für eine Unabhängigkeit der Athletenvertretung ist ein einflussschaffender Schachzug und sollte ein Ansporn sein, für die eigenen Rechte zu kämpfen, um so Einfluss aber auch Verantwortung zu erhalten.

Athleten verkommen im aktuellen Reformpapier und dem Potentialanalysesystem (PotAs) zum Planungsobjekt des Dachverbands DOSB und der Verbände und werden zum „ Rohstoff“ bzw. zur „Ressource“ einer objektorientierten Förderung. Die Idee des mündigen Athleten wird durch eine solche einseitige Verengung des Spitzensportlers auf den Leistungssport und fehlende Unterstützung für die duale Karriere zu Grabe getragen. Auch im neuen Eckpunktepapier werden weiterhin in erster Linie die Sportverbände gefördert, nicht die Sportler, auch wenn scheinbar der Athlet im Mittelpunkt des Konzeptes steht. Vielmehr nutzt der DOSB die Reform, um Druck auf die Verbände auszuüben und sich selbst als Regel- und Kontrollinstanz über Jahre hinweg zu manifestieren. Damit werden die Athleten zur Verfügungsmasse der Verbände, sie sind lediglich als Ressource wichtig und für die Verbände jederzeit durch ein anderes Talent austauschbar.

Einige Athleten lassen sich nicht selten in den Sog der Verbände hineinziehen und werden im Anschluss an ihre Karriere selbst Teil des Systems. Anstatt sich klar und deutlich zu positionieren, verstummen kritische Äußerungen. Viele deutsche Athleten leben noch heute von familiärer Unterstützung mit einem kleinen Zuschuss der Sporthilfe. Deutsche Olympioniken, wenn sie nicht bei den Institutionen der Bundeswehr, der Polizei oder dem Bundesgrenzschutz beschäftigt sind, verdienen im Schnitt ca. 620 Euro im Monat. Wenn man sich finanziell am unteren Rand der Gesellschaft bewegt, ist es nahezu unmöglich, sich kritisch zu äußern; selbst die letzten Euros wären gefährdet.

Nur über eine unabhängige Athletenkommission und eine subjektorientierte Förderung kann es gelingen, den Athleten sowohl den Einfluss auf den Spitzensport selbst als auch die Verantwortung für ihr Handeln zurückzugeben. Dies muss das Ziel einer innovativen Reform sein.

In den USA gibt es ähnliche Bestrebungen hinsichtlich des Paragraphen 40 aus der Olympischen Charta. US-Sportler fordern die Aufhebung des Paragraphen 40 und eine deutlichere Beteiligung am finanziellen Gewinn der Olympischen Spiele. Auch international sollten sich die Athleten intensiver verbünden und für ihre Rechte kämpfen.

Außerdem gibt es an US-Colleges Bestrebungen, Spielergewerkschaften zu gründen, nach aktuellem Kenntnisstand haben diese durchaus gute Chancen realisiert zu werden.

Teil 6: Spitzensportförderung – Es könnte so einfach sein – Das Spitzensportgeld – Frust über das System Sportdeutschland (Teil 6) Link:

https://derballluegtnicht.com/2016/10/29/spitzensportfoerderung-es-koennte-so-einfach-sein-frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-6/

Teil 5 : Thema: Athletenfokussierung.Titel: Lieber Karriereende als weiterhin Spitzensport? – Um die es gehen sollte, geht es nicht! Link: https://derballluegtnicht.com/2016/10/12/lieber-karriereende-als-weiterhin-spitzensport-um-die-es-gehen-sollte-geht-es-nicht-frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-5/

Teil 4: Themen: Das Potentialanalysesystem PotAS und die Folgen bzw. Fragen, Link: https://derballluegtnicht.com/2016/10/07/die-potentialanalyse-potas-und-die-folgen-bzw-fragen-frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-4/

Teil 3: Themen= die Dokumente zur Leistungssportreform, Die duale Karriere und das Eckpunktepapier des DOSB, Die Aufgabe der Laufbahnberater, Bildung und Spitzensport – Der studentische Spitzensport, Die Profilquote – Die Vor- und Nachteile, Förderung durch die Bundeswehr. Link: https://derballluegtnicht.com/2016/09/30/frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-3-das-eckpunktepapier/

Teil 2: Themen: Vorraussichtliche Fördersummen 2017,Leistungssportreform – Was bis heute bekannt ist, Die duale Karriere und der DOSB/ adh. Link: https://derballluegtnicht.com/2016/09/25/frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-2/

Teil 1: Themen=Ausbeute bei Olympia, die Athleten, das Strategiepapier, Die neuen Cluster 1-3, Kampf hinter den Kulissen. Link: https://derballluegtnicht.com/2016/08/23/frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-1/

Photo: https://www.flickr.com/photos/oddsock/

Autor: derballluegtnicht

Writes about the politics of sports. For him sports and politics always mix.

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