Spitzensport in der Sackgasse – fragwürdige Prioritäten der AG Sport

Die ersten Ausführungen der AG Sport zu den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD zum Spitzensport müssen im Bereich der Spitzensportförderung als unzureichend und enttäuschend bezeichnet werden. Problematisch erscheint die starke Fokussierung auf die Sportfördergruppen von Bundeswehr, Polizei und Zoll. Zwar ist die Relevanz dieser Institutionen für die Karrieren einzelner Athletinnen und Athleten unbestritten und muss erhalten bleiben, die Priorisierung und der angekündigte Ausbau dieser Strukturen führt jedoch zu einer einseitigen Ressourcenverteilung, die alternative Förderansätze benachteiligt. Alle dualen Karrieren, welcher Art auch immer, sollten die gleiche Priorität genießen. 

Die Analyse der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass nur ein Teil der Spitzensportlerinnen und Spitzensportler an einer Förderung bei Bundeswehr/Polizei/Zoll interessiert ist. Ein Ausbau würde die strukturellen Ungleichheiten innerhalb des deutschen Spitzensports verstärken, zudem besteht die Gefahr der beruflichen (Laufbahn-)Abhängigkeit: Athletinnen und Athleten sehen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich frühzeitig an staatliche Laufbahnen zu binden, auch wenn diese nicht ihren individuellen Karriereplänen und Interessen entsprechen. Dies kann nicht Ziel eines modernen Förderkonzeptes sein. 

Ein weiteres Defizit innerhalb der bestehenden Förderstrukturen ist die unzureichende Berücksichtigung bildungsbezogener Aspekte wie der dualen Karriere (Ausbildung und Studium). Während die Sportfördergruppen finanzielle Stabilität bieten, fehlt es häufig an einer gleichwertigen Unterstützung akademischer Laufbahnen. Eine umfassende Spitzensportförderung muss über kurzfristige Erfolge hinausgehen und langfristige Perspektiven für die Athletinnen und Athleten schaffen (insbesondere im Bereich Bildung und Ausbildung). 

Warum studentischer Spitzensport? 

Studierende sind die erfolgreichste Gruppe im deutschen Spitzensport: Bei Olympischen Spielen stellen sie den größten Anteil an Medaillengewinnern, wobei die Erfolge seit Jahrzehnten kontinuierlich steigen. Sie gelten daher als besonders förderungswürdig. 

Durch die grundsätzliche Vereinbarkeit von Spitzensport und Studium können die Hochschulen flexible Strukturen bieten – wie Teilzeitstudiengänge, individuelle Prüfungsanpassungen und Hybridstudiengänge – optimale Grundvoraussetzungen, um sportliche und akademische Entwicklung zu verbinden. Dieses Potenzial bleibt in Deutschland jedoch weitgehend ungenutzt. Zudem fehlen staatliche Anreize, um strukturelle Veränderungen in diesem Bereich voranzutreiben. Für Sportlerinnen seit Jahren eine herbe Enttäuschung. 

Eine verstärkte akademische Förderung eröffnet langfristige Karriereperspektiven über den Sport hinaus. Eine akademische Laufbahn reduziert die Abhängigkeit von staatlichen Sozial- und Unterstützungsleistungen nach der Sportkarriere. Länder wie die USA zeigen mit ihren College-Sportprogrammen, dass Spitzensportförderung und akademische Exzellenz keine Gegensätze sein müssen, sondern einander befruchten können, wenn die parallele akademische Ausbildung sinnvoll und seriös gestaltet wird. 

Was muss passieren? 

Vor diesem Hintergrund ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der Spitzensportförderung notwendig. Statt verstärkt auf traditionelle staatliche Institutionen wie Bundeswehr, Polizei und Zoll zu setzen, sollte die Förderung intensiver auf die universitäre und zivilgesellschaftliche Ebene ausgeweitet werden. Innovative Ideen, so auch Insellösungen für Talente z.B. in Kleinstädten verdienen Probe.- und Evaluierungsphasen. Mutige, kreative Vorgehensweisen wie sie unter anderem auch Athleten Deutschland in den vergangenen Jahren mit vielen Ideen (auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend) geliefert hat, können eine Grundlage bilden. 

Konkret heißt dies für den deutschen Spitzensport: 

  1. eine wesentlich stärkere Beteiligung der Athlet*innen an Ausgestaltungen der Förderstrukturen, 
  1. ein „outside the box“- Denken auf neuem Niveau, 
  1. die Erprobung unterschiedlicher Fördermodelle und vor allem deren Evaluierung (das Defizit an belastbaren Daten zum deutschen Fördersystem ist gravierend),  
  1. die Etablierung einer leistungsfähigen universitären Sportförderung, die international konkurrenzfähige Bedingungen schafft, 
  1. die Entwicklung von sozialen Absicherungsmodellen für Athletinnen und Athleten außerhalb staatlicher Strukturen, um Chancengleichheit zu gewährleisten, 
  1. eine Analyse der Absicherungsstrukturen in europäischen Nachbarländern und Identifikation von Best-Practice-Modellen,  
  1. die Umsetzung alternativer Finanzierungsmodelle, z.B. durch zivilgesellschaftliche Stipendienprogramme und private Förderinitiativen, 
  1. WICHTIGER FOKUS: Nachhaltige Förderung statt kurzfristiger Erfolgsorientierung, um die langfristige Entwicklung der Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt zu stellen. 
  1. Und vieles mehr 

Die deutsche Spitzensportförderung muss sich von einem unflexiblen, institutionenorientierten Modell lösen und eine diversifizierte Struktur schaffen, die sowohl sportliche Höchstleistungen als auch individuelle Biographieperspektiven ermöglicht. Nur so ist Deutschland langfristig international konkurrenzfähig, ohne dabei die soziale und berufliche Zukunft der Athletinnen und Athleten zu gefährden. 

Der Abschnitt aus der AG Sport im Original:

Der US-Collegesport vor dem Umbruch?

Stanford wird am Ende des akademischen Jahres 2020-21 folgende 11 Leistungssportprogramme einstellen: Fechten für Männer und Frauen, Feldhockey, Rudern für Männer, Segeln, Squash, Synchronschwimmen, Volleyball für Männer und Ringen. Weitere Collegeprogramme ziehen aktuell nach bzw. denken über weitere Kürzungen nach. Was dies für den globalen olympischen Sport bedeutet wird im aktuellen Spiegel erläutert. Unter anderem mit der ball lügt nicht. Jetzt am Kiosk oder online erhältlich.

Thema: Spitzensport und Studium (in D oder den USA)

Studium und Leistungssport zusammenzubringen, ist für deutsche Nachwuchsathlet*innen kaum möglich. Manche zieht es daher raus aus Deutschland an amerikanische Universitäten. Was dort besser läuft – zwei Talente berichten – Jetzt lesen im KURT Magazin mit Anmerkungen von der ball lügt nicht.