Reform mit Rückenwind: Echte Athletenbeteiligung als Grundlage für eine besondere Win-Win-Win-Situation (Politik, Verbände, Sportler*innen) im Spitzensport 

Es ist bedauerlich, dass im deutschen Spitzensport immer wieder die Problemfelder diskutiert werden, obwohl Lösungen offensichtlich sind. In diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt, ob eine Verbesserung der Situation der Athlet*innen in Deutschland tatsächlich das angestrebte Ziel ist oder ob das bestehende Abhängigkeitsverhältnis der Athlet*innen von sämtlichen weiteren Akteuren lediglich aufrechterhalten werden soll. Dabei wären signifikante Veränderungen möglich, insbesondere unter der Prämisse der Einschränkung der Machtverhältnisse von Politik und Verbänden gegenüber den Athlet*innen.

Der neue Gesetzesentwurf der Staatsministerin Schenderlein ist Gegenstand intensiver Diskussionen. Der organisierte Sport zeigt sich besorgt darüber, dass dieser Prozess ohne umfassende Konsultationen mit dem DOSB initiiert wurde. Der DOSB kritisiert, dass die Garantie der Finanzierung durch das neue Gesetz ebenso wie die Passage zur Autonomie des Sports nicht mehr vorkommen. Doch sind das die gravierendsten Defizite des neuen Entwurfes? Vielmehr wird im neuen Entwurf die Rolle der Athlet*innen abermals falsch eingeordnet. Auch in der aktuellen Fassung des Entwurfes sind die Athlet*innen hinsichtlich Strukturreformen überwiegend beratend und marginal eingeordnet, obwohl sie es sind, die täglich erhebliche Kraft und Ausdauer in den Sport investieren und letztlich die Erfolge erzielen, um die es konkret geht. Ohne die Athlet*innen, auch als impulsgebendes Element, fehlt es dem neuen Fördersystem mit einer neu gegründeten „Sportagentur“ an demokratischer Legitimation.

Die aktuelle Konzeption formuliert den Anspruch, Deutschland als innovative und moderne Sportnation zu positionieren – eine große Herausforderung. Erfreulich ist, dass der Entwurf die individuelle Förderung von Athlet*innen vorsieht. Die Implementierung dieser Maßnahmen wird dazu beitragen, die Erfolgschancen deutscher Athlet*innen signifikant zu erhöhen und ihre Strukturen zu optimieren. Diese Veränderung ist ausdrücklich zu begrüßen. Gleichzeitig wird den Kompetenzen und der Expertise der Athlet*innen in den Entscheidungs- und Beratungsgremien weiterhin eine untergeordnete Bedeutung zugewiesen. Zwar wird der Verein Athleten Deutschland im Beratungsgremium der Stiftung mit einem Sitz vertreten sein, doch das ist wie schon in vielen Gremien zuvor, lediglich eine Stimme innerhalb eines zwanzigköpfigen Beratungsgremiums. Dies trägt nicht dazu bei, tatsächlich gestalterisch aktiv sein zu können.

Ein wesentlicher Kritikpunkt am Gesetzesentwurf ist die mangelnde Vertretung von Athlet*innen im Stiftungsrat. Damit haben sich die Einflussmöglichkeiten der Athlet*innen in der neu zu gründenden Sportagentur nicht verbessert. Athlet*innen sind weiterhin primär passive Rezipient*innen traditioneller Strukturen und Normen. Die Reduktion auf das „empfangende Organ“ vernachlässigt die Tatsache, dass Athlet*innen über eine ausgeprägte Gestaltungsfähigkeit verfügen. Dieses Desinteresse an den Athlet*innen ist überraschend, wenn man sich vor Augen führt, welche Veränderungen allein durch eine größere Einbindung der Athlet*innen möglich wären. Untersuchungen belegen, dass Athletenvertreter*innen, sofern sie in institutionelle Strukturen integriert sind und über erforderliche Ressourcen verfügen, effektiv agieren können. Durch solche Strukturen haben sie einen positiven Einfluss auf die Governance-Strukturen des Spitzensports und verringern Risiken wie Missbrauch im Sport (sexualisierte Gewalt, Missbrauch, Doping und gesundheitliche Vernachlässigung). Beispiele belegen, dass Systeme, in denen Athlet*innen effektiv involviert sind, zu nachhaltigen und fairen Entscheidungen tendieren. Die Partizipation der Aktiven trägt nicht nur zur Senkung der Missbrauchsrisiken bei, sondern stärkt auch die Legitimation der Förderpolitik. In Kanada, Großbritannien, Norwegen und Australien wurden die umfangreichen Potenziale von Athlet*innenvertretungen erkannt, mit entsprechender Stimmberechtigung in Spitzensportgremien. Eine derartige Entwicklung in Deutschland würde demnach eine Win-Win-Win-Situation für Politik, Verbände und Athlet*innen schaffen.

Doch in Deutschland bleibt ihre Beteiligung auf symbolischer Ebene begrenzt. Der deutsche Gesetzesentwurf sieht, bis auf den größeren Einfluss des Bundes, keine signifikanten Veränderungen im Hinblick auf die bestehenden Strukturen vor, sondern ist eher als eine Fortsetzung des Status quo in neuen Gewändern zu verstehen. Dies könnte zu einer Zunahme von Intransparenz, Vertrauensverlust und geringer Akzeptanz der Mitwirkung im deutschen Sportfördersystem führen. Dabei zeigte die Athlet*innenvertretung Athleten Deutschland in den vergangenen Jahren mit einer Vielzahl von Positionspapieren Vorschläge zur Reformierung der Sportförderstrukturen, dass es auch anders gehen könnte. Eine mit Ressourcen ausgestattete Athlet*innenvertretung kann einen positiven Einfluss auf die Debatten haben. Der konkrete Einfluss der Vereinigung auf politische Entscheidungen fällt nach wie vor zu gering aus. Gute Ideen werden demnach zwar in Positionspapieren konkretisiert, jedoch gelangen sie nur in seltenen Fällen in die Entscheidungsgremien, obwohl sie sich durch eine hohe inhaltliche Qualität und einen umfassenden Ansatz auszeichnen. Zudem wird seitens der Politik und des organisierten Sports außer Acht gelassen, dass Athletinnen mit den spezifischen Problemen der dualen Karriere vertraut sind, die Defizite der Förderstrukturen identifizieren, selbstkritisch sind, ihre Aktivitäten reflektieren und willens sind, Reformvorschläge zu erarbeiten. Es ist bedauerlich, dass das inhärente Potenzial für den deutschen Sport durch den neuen Gesetzesentwurf nicht genutzt werden soll. Die Implementierung solcher Veränderungen würde eine nachhaltige Transformation der Governance-Strukturen zur Folge haben. Die Effektivität und das Umsetzen von Reformen und Strukturverbesserungen hängen in hohem Maße von der Partizipation der Athlet*innen in relevanten Gremien ab. Eine Steigerung der Teilhabe ist daher von größter Bedeutung, um ein Fördersystem zu etablieren, das sich durch besondere Effektivität und Athlet*innenfreundlichkeit auszeichnet und in dieser Form bislang noch nicht realisiert wurde. Eine höhere Partizipation der Athlet*innen in Entscheidungsgremien (Sitz im Stiftungsrat und Vorstand, Erhöhung der Anzahl der Sitze im Sportfachbeirat, siehe unten) führt auch zu einer gesteigerten Transparenz (z. B. Kritik der Mittelvergabe durch den Bundesrechnungshof). Die Entscheidungsträger*innen sitzen in diesen Gremien und sind folglich den Förderempfänger*innen gegenüber rechenschaftspflichtig. Wer kann da etwas dagegen haben?

Nach zehn Jahren der Diskussionen sollten endlich Strukturen im Sinne der Athlet*innen geschaffen werden, die die Effektivität signifikant steigern. Im Folgenden sind einige konkrete Vorschläge für die neu zu schaffende Spitzensportagentur und ihre Struktur formuliert.

1. Einfügung in § 20 (Stiftungsrat) — direktes Sitzrecht
§ 20 Absatz 1 ergänzen um folgenden neuen Satz / Nummer:

„(…) 4. Ein Mitglied wird direkt von den aktiven Bundeskaderathlet*innen für die Dauer von vier Jahren gewählt. Dieses Mitglied ist stimmberechtigt und vertritt insbesondere die Belange der Athlet*innen in Aufsichts- und Personalfragen.

Kurzbegründung:

Der Stiftungsrat trifft oberste Entscheidungen (Haushalt, Bestellung des Vorstands, Satzungsfragen). Ein direkt gewähltes, stimmberechtigtes Athlet*innenmitglied schafft echte Aufsichtsbeteiligung statt reiner Beratung.

Direkte Vertretung der Athlet*innen sichert, dass ihre Interessen und Bedarfe in strategischen Entscheidungen (z. B. Budgetverteilung, Förderkriterien) auf höchster Ebene gehört und berücksichtigt werden.

Demokratische Legitimation durch Wahl der Kaderathlet*innen

Erhöht die Akzeptanz der Spitzensport-Agentur.

Internationale Vorbilder: UK Sport und das Australian Institute of Sport binden Athlet*innen in ihre Gremien ein.

Ergänzung/ Veränderung in § 21 Abs. 4 (Vorstand) wird ergänzt um Folgendes:

Der Vorstand besteht aus drei Mitgliedern (nicht mehr zwei Mitgliedern), von denen ein Mitglied auf Vorschlag von Athleten Deutschland e.V. (oder aller Kaderathlet*innen) bestellt wird und über besondere Expertise im Bereich der Athlet*innenförderung verfügt.

Kurzbegründung:

Fachliche Expertise im Vorstand sichert, dass Athlet*innenperspektiven bei Förderentscheidungen direkt einfließen.

Vermeidung von Interessenskonflikten: Das Mitglied sollte keine Verbandsfunktion innehaben, um unabhängige Entscheidungen zu gewährleisten.

Änderung in § 22 (Sportfachbeirat) – Quantität + Wahl
§ 22 Absatz 2 ersetzen / ergänzen:

Der Sportfachbeirat besteht aus 24 Mitgliedern. Die folgenden Organisationen haben ein Entsendungsrecht: … Zudem werden vier Sitze für Athlet*innen reserviert. Mindestens zwei dieser Sitze sind durch aktuell aktive Bundeskaderathlet*innen unmittelbar zu wählen; die übrigen zwei Sitze werden über den Verein Athleten Deutschland entsandt. Der oder die stellvertretende Vorsitzende des Sportfachbeirats soll aus den Athlet*innenmitgliedern stammen.

Kurzbegründung:

Wenn mehr Athlet*innen als Gruppe sichtbar sind, können sie stärker mitbestimmen, worüber gesprochen wird, und es verhindert, dass sie nur als Symbolfigur eingesetzt werden (siehe dazu auch Kihl et al, 2025).

Ergänzungen in § 21 Absatz 2 – Bindender Umgang mit Konsultationsergebnissen (Veto- oder Reviewrecht)

Die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens mit dem Sportfachbeirat sind zu dokumentieren und öffentlich zugänglich zu machen. Weicht der Vorstand/Stiftungsrat von einer Empfehlung ab, hat er dies schriftlich und inhaltlich zu begründen. Lehnen drei Viertel der Athlet*innenmitglieder des Sportfachbeirats einen Vorschlag ab (greift der Veto bzw. Review-Mechanismus, siehe unten im Schaubild), so ist der Stiftungsrat verpflichtet, die Entscheidung mit Begründung erneut zu prüfen.

Kurzerläuterung:

So erhalten die Athlet*innen ein indirektes Veto- bzw. Reviewrecht. Dieses kann sogar noch verfeinert werden, indem man weitere Gremien (wie ein Athlet*innengremium) etabliert: Ein reines Athlet*innengremium könnte die Entscheidungen des Stiftungsrates verfolgen und Entscheidungen, die konkret die Athlet*innen betreffen, hinsichtlich ihrer Effektivität überprüfen und hat über die 4 Mitglieder im Sportfachbeirat (drei Viertel der Stimmen reichen für ein indirektes Veto bzw. Review, siehe unten im Schaubild) die Möglichkeit, die Vorschläge in das Gremium für eine Überarbeitung zurückzuschicken (siehe dazu auch Strengthening Athlete Power in Sport, 2023).

Ein solches indirektes Veto- bzw. Reviewrecht könnte alternativ aber auch im bereits bestehenden Sportfachbeirat etabliert werden – ohne ein Athlet*innengremium zu etablieren. Auch dort wäre die Dreiviertelregel anwendbar.

Neuer Absatz in § 14 oder § 22a zur finanziellen Absicherung der Athletenvertreter*innen
Die Spitzensport-Agentur stellt für die Funktionen der Athlet*innenvertretung und der Athlet*innenkommission angemessene finanzielle Mittel bereit; hierfür ist jährlich ein im Haushalt ausgewiesener Betrag bereitzustellen.

Kurzbegründung: Ohne Budget bleiben Athlet*innenbeteiligungsrechte in der Praxis wirkungslos.

Die obigen Vorschläge hätten zusätzlich noch weitere positive Effekte wie eine höhere Förderakzeptanz und Motivation, mehr Eigenverantwortung aufseiten der Aktiven sowie eine verbesserte Kommunikation zwischen Athlet*innen und den einzelnen Institutionen.

Wenn Deutschland über alle Parteien an einem großen Spitzensportwurf interessiert ist, kann nur eine größere Athlet*innenbeteiligung in allen entscheidenden Gremien das Ziel sein. Echtes Mitspracherecht, verankert in Gesetzen, ist das einzige Mittel, um über eine symbolische Beteiligung hinauszugehen.

Deutsche Olympiabewerbungen: PR-Spektakel und Verzerrung der Realität – Grundlagen für einen demokratischen Entscheidungsprozess? 

Liebe Münchner, liebe Berliner, liebe Hamburger, liebe Ruhrpottler,  

Die aktuellen Werbekampagnen der jeweiligen Städte/Regionen sowie des DOSB erzeugen große Skepsis, da die Informationsbroschüren und Kampagnen signifikante Defizite in Bezug auf die Auswirkungen der Olympischen Spiele aufweisen. In der Tat lässt sich sogar von einer gewissen politischen Skrupellosigkeit sprechen, da entscheidende Argumente gegen eine Ausrichtung weder explizit erwähnt noch indirekt in Form von Nebensätzen angeführt werden. Gleichzeitig spricht z. B. der Münchner Rat von „transparenter Kommunikation und (einer) umfassenden Einbeziehung der Bevölkerung“. Gleiches suggeriert der „Olympi-O-Mat“ des DOSB, der eine Anspielung auf den „Wahl-O-Mat” ist. Letzterer stellt die Programme aller Parteien vor einer Bundestagswahl neutral gegenüber. Der DOSB missbraucht das Vertrauen in dieses Medium, indem er mit seinem eigenen Online-Abstimmungstool „Olympi-O-Mat“ durch Struktur und Design eine neutrale Position suggeriert, die Teilnehmer*innen beim Durchklicken jedoch lediglich über positive Effekte der Olympischen Spiele informiert oder ihnen Fragen stellt, die sie zu der Aussage „100 % für Olympia“ verleiten. Liegt hier vorsätzliche Täuschung vor? Diese Vorgehensweisen sollte der organisierte Sport nicht anwenden, da sie die eigene Glaubwürdigkeit massiv untergraben. 

Im Folgenden möchte ich darlegen, warum das Vorgehen in München und das vom DOSB Empörung auslösen. Zunächst ist festzuhalten, dass ich als Sportwissenschaftler und Breitensportler Sportveranstaltungen positiv gegenüberstehe. Eine deutsche Ausrichtung ist aus Sicht der Sportwissenschaft positiv zu sehen, da diese trotz ihrer gesellschaftlichen Relevanz – von Spitzensport über Gesundheit, Bildung hin zu sozialen Herausforderungen – chronisch unterfinanziert ist, und mit mangelnder Wertschätzung sowie dem fehlenden Austausch zwischen Wissenschaft, Sportorganisationen und Entscheidungsträgern kämpft. Ein solches Event könnte zu einem größeren Fokus verhelfen. 

Zudem ist es für jede*n einzelne*n Kaderathlet*in, möglicherweise vor der eigenen Familie und all den Freunden, in einem solch bedeutenden Weltsportereignis aktiv zu sein, ein unglaublich aufregendes Erlebnis, das durch einen Erfolg noch intensiviert werden kann. Jedem einzelnen Athlet*in, der sich heute unter den schweren Bedingungen, in Deutschland entscheidet, einer spitzensportlichen Karriere in Form einer dualen Karriere nachzugehen, sei dieses herausragende Erlebnis gegönnt. Die alltäglichen Belastungen und Herausforderungen, denen ein/ eine Spitzensportler*in ausgesetzt ist, in Kombination mit der psychischen Belastung, fortwährend sportliche Höchstleistungen erbringen zu müssen, sind signifikant. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass viele deutsche Athletinnen parallel eine Berufsausbildung bzw. ein Studium absolvieren, welches durch einen hohen qualitativen Anspruch gekennzeichnet ist. Infolgedessen sehen sich diese Athletinnen einer permanenten Doppelbelastung ausgesetzt und haben mit den Erwartungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilsysteme zu kämpfen. Es ärgert, dass der deutsche Sport bis heute so wenig Profit aus den vielen tollen Persönlichkeiten im Sport schlägt. Ihre Leistungen sind beeindruckend – wer wünscht diesen Athlet*innen nicht eine möglichst hohe öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung? Falls die Entscheidung fällt, die Olympischen Spiele nach Deutschland zu vergeben, bin ich auf jeden Fall dabei, die Athlet*innen anzufeuern. 

Doch die Bewerbungen der deutschen Städte sind bei wichtigen Punkten problematisch. Sowohl der DOSB (mit seinen Olympi-O-Mat und seiner digitalen Informationskampagne „Dafür sein ist alles”) als auch die einzelnen deutschen Städte agieren nicht mit der erforderlichen Ehrlichkeit, Offenheit und Skepsis gegenüber den Olympischen Spielen und besonders dem IOC.  

Z.B. die Empfehlung des Deutschen Alpenvereins München, den sogenannten „Olympi-O-Mat“ zu nutzen, um “die wichtigsten Argumente und Informationen” bezüglich einer möglichen Olympiabewerbung zu erhalten, ist problematisch. Werden Inhalte vorenthalten, wie im Falle der Werbekampagne des DOSB, kommt es zu einer Verzerrung des Willensbildungsprozesses. In Bezug auf den Olympi-O-Mat warte ich nur auf diejenigen, die das Tool herunterreden, nachdem es detailliert analysiert wurde. „Das darf man ja alles nicht so ernst nehmen“ und so weiter. Aber schauen wir uns das Tool doch einmal genauer an! Der Olympi-O-Mat ist nicht, wie suggeriert, ein neutrales Informationstool, sondern vielmehr ein überzeugungsorientiertes, meinungsmachendes Instrument, das wichtige Informationen außer Acht lässt und beeinflussend wirkt. Zunächst einmal verstößt die Konstruktion gegen die Grundprinzipien der Neutralität und der qualitativen Sozialforschung. Klar, vielleicht war das von Anfang an auch gar nicht das Ziel, aber dieses Tool suggeriert allein durch seinen Namen Neutralität. Zudem reicht es, Folgendes von der Startseite des Tools zu zitieren: „Du bist noch unsicher, ob Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland tatsächlich einen Mehrwert für dich haben? Der Olympi-O-Mat soll dich dabei unterstützen, eine Antwort auf diese persönliche Frage zu finden. Entdecke die wichtigsten Argumente und bilde dir deine Meinung, der Olympi-O-Mat ist ein Informationsangebot des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).“ Doch der Olympi-O-Mat ist kein Informationsangebot, sondern lediglich ein PR-Instrument. Das Ziel ist eindeutig: Die Teilnehmer*innen sollen durch die Gestaltung, die Themenauswahl und das Framing zu einer generellen Zustimmung gebracht werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Olympische Spiele” findet erst gar nicht statt. 

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Olympische Spiele in Hamburg?

Vor knapp drei Wochen hatte ich die Gelegenheit, im Hamburger Abendblatt einen Kommentar zu den möglichen Olympischen Spielen in Hamburg zu schreiben. Aus sportsoziologischer Perspektive zeigt sich ein ambivalentes Bild: Solche Mega-Events bergen zweifellos Potenziale/ Trends– aber ebenso erhebliche umfangreiche Risiken und Herausforderungen für die austragende Stadt und ihre Bevölkerung. Für mich überwiegen leider die negativen Konsequenzen.

Für lokale Athletinnen und Athleten könnte eine Heim-Olympiade eine herausragende Möglichkeit sein, ihre Leistungen im eigenen sozialen Umfeld sichtbar zu machen. Die Chance, auf internationaler Bühne im eigenen Land aufzutreten, ist eine Form symbolischer Anerkennung, die nicht nur das individuelle Selbstwertgefühl stärkt, sondern auch Identifikation und gesellschaftliche Wertschätzung für den Leistungssport befördert. Diese Erfahrung wünsche ich jedem einzelnen, hart arbeitenden deutschen Athleten und jeder Athletin.

Gleichzeitig ist es wichtig, die oft übersehenen, aber umfangreichen Begleiterscheinungen solcher Großveranstaltungen offen zu benennen: die infrastrukturellen Belastungen, die hohe Belastungen für den städtischen Haushalt/ Staatshaushalt, mögliche soziale Verdrängungsprozesse (lokale Unternehmen/ Bewohner), Gentrifizierungseffekte sowie die Gefahr, dass die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung im Schatten globaler Eventlogiken marginalisiert werden.

Umso mehr freue ich mich darauf, heute Abend im Hamburger Rathaus gemeinsam mit weiteren Interessierten über diese Fragen weiterzudiskutieren:
Wie lassen sich Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele so gestalten, dass sie sozial verträglich, nachhaltig und tatsächlich gemeinwohlorientiert sind? Ist das überhaupt noch möglich? Was wären die Optionen?

Spitzensport in der Sackgasse – fragwürdige Prioritäten der AG Sport

Die ersten Ausführungen der AG Sport zu den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD zum Spitzensport müssen im Bereich der Spitzensportförderung als unzureichend und enttäuschend bezeichnet werden. Problematisch erscheint die starke Fokussierung auf die Sportfördergruppen von Bundeswehr, Polizei und Zoll. Zwar ist die Relevanz dieser Institutionen für die Karrieren einzelner Athletinnen und Athleten unbestritten und muss erhalten bleiben, die Priorisierung und der angekündigte Ausbau dieser Strukturen führt jedoch zu einer einseitigen Ressourcenverteilung, die alternative Förderansätze benachteiligt. Alle dualen Karrieren, welcher Art auch immer, sollten die gleiche Priorität genießen. 

Die Analyse der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass nur ein Teil der Spitzensportlerinnen und Spitzensportler an einer Förderung bei Bundeswehr/Polizei/Zoll interessiert ist. Ein Ausbau würde die strukturellen Ungleichheiten innerhalb des deutschen Spitzensports verstärken, zudem besteht die Gefahr der beruflichen (Laufbahn-)Abhängigkeit: Athletinnen und Athleten sehen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich frühzeitig an staatliche Laufbahnen zu binden, auch wenn diese nicht ihren individuellen Karriereplänen und Interessen entsprechen. Dies kann nicht Ziel eines modernen Förderkonzeptes sein. 

Ein weiteres Defizit innerhalb der bestehenden Förderstrukturen ist die unzureichende Berücksichtigung bildungsbezogener Aspekte wie der dualen Karriere (Ausbildung und Studium). Während die Sportfördergruppen finanzielle Stabilität bieten, fehlt es häufig an einer gleichwertigen Unterstützung akademischer Laufbahnen. Eine umfassende Spitzensportförderung muss über kurzfristige Erfolge hinausgehen und langfristige Perspektiven für die Athletinnen und Athleten schaffen (insbesondere im Bereich Bildung und Ausbildung). 

Warum studentischer Spitzensport? 

Studierende sind die erfolgreichste Gruppe im deutschen Spitzensport: Bei Olympischen Spielen stellen sie den größten Anteil an Medaillengewinnern, wobei die Erfolge seit Jahrzehnten kontinuierlich steigen. Sie gelten daher als besonders förderungswürdig. 

Durch die grundsätzliche Vereinbarkeit von Spitzensport und Studium können die Hochschulen flexible Strukturen bieten – wie Teilzeitstudiengänge, individuelle Prüfungsanpassungen und Hybridstudiengänge – optimale Grundvoraussetzungen, um sportliche und akademische Entwicklung zu verbinden. Dieses Potenzial bleibt in Deutschland jedoch weitgehend ungenutzt. Zudem fehlen staatliche Anreize, um strukturelle Veränderungen in diesem Bereich voranzutreiben. Für Sportlerinnen seit Jahren eine herbe Enttäuschung. 

Eine verstärkte akademische Förderung eröffnet langfristige Karriereperspektiven über den Sport hinaus. Eine akademische Laufbahn reduziert die Abhängigkeit von staatlichen Sozial- und Unterstützungsleistungen nach der Sportkarriere. Länder wie die USA zeigen mit ihren College-Sportprogrammen, dass Spitzensportförderung und akademische Exzellenz keine Gegensätze sein müssen, sondern einander befruchten können, wenn die parallele akademische Ausbildung sinnvoll und seriös gestaltet wird. 

Was muss passieren? 

Vor diesem Hintergrund ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der Spitzensportförderung notwendig. Statt verstärkt auf traditionelle staatliche Institutionen wie Bundeswehr, Polizei und Zoll zu setzen, sollte die Förderung intensiver auf die universitäre und zivilgesellschaftliche Ebene ausgeweitet werden. Innovative Ideen, so auch Insellösungen für Talente z.B. in Kleinstädten verdienen Probe.- und Evaluierungsphasen. Mutige, kreative Vorgehensweisen wie sie unter anderem auch Athleten Deutschland in den vergangenen Jahren mit vielen Ideen (auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend) geliefert hat, können eine Grundlage bilden. 

Konkret heißt dies für den deutschen Spitzensport: 

  1. eine wesentlich stärkere Beteiligung der Athlet*innen an Ausgestaltungen der Förderstrukturen, 
  1. ein „outside the box“- Denken auf neuem Niveau, 
  1. die Erprobung unterschiedlicher Fördermodelle und vor allem deren Evaluierung (das Defizit an belastbaren Daten zum deutschen Fördersystem ist gravierend),  
  1. die Etablierung einer leistungsfähigen universitären Sportförderung, die international konkurrenzfähige Bedingungen schafft, 
  1. die Entwicklung von sozialen Absicherungsmodellen für Athletinnen und Athleten außerhalb staatlicher Strukturen, um Chancengleichheit zu gewährleisten, 
  1. eine Analyse der Absicherungsstrukturen in europäischen Nachbarländern und Identifikation von Best-Practice-Modellen,  
  1. die Umsetzung alternativer Finanzierungsmodelle, z.B. durch zivilgesellschaftliche Stipendienprogramme und private Förderinitiativen, 
  1. WICHTIGER FOKUS: Nachhaltige Förderung statt kurzfristiger Erfolgsorientierung, um die langfristige Entwicklung der Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt zu stellen. 
  1. Und vieles mehr 

Die deutsche Spitzensportförderung muss sich von einem unflexiblen, institutionenorientierten Modell lösen und eine diversifizierte Struktur schaffen, die sowohl sportliche Höchstleistungen als auch individuelle Biographieperspektiven ermöglicht. Nur so ist Deutschland langfristig international konkurrenzfähig, ohne dabei die soziale und berufliche Zukunft der Athletinnen und Athleten zu gefährden. 

Der Abschnitt aus der AG Sport im Original: