Shut up and dribble? Sportler*innen und die US-Wahl 2024

In einer bemerkenswerten Wendung der Ereignisse haben zwei der größten Zeitungen der Vereinigten Staaten, die Washington Post und die Los Angeles Times, ihre ursprünglichen Pläne, eine Kandidatin bzw. einen Kandidaten zu unterstützen, geändert. In beiden Fällen wurde seitens der Eigentümer der Zeitungen entschieden, einen Leitartikel, der sich für die Unterstützung von Kamala Harris aussprach, nicht zu veröffentlichen. Dabei hatte die Washington Post z.B. Jahrzehnte damit verbracht, ihren Lesern zu versichern, dass sie sich nicht von den Mächtigen beeinflussen lässt, dass man ihr vertrauen kann und sie unabhängig berichtet. Die Entwicklungen der letzten Woche haben jedoch gezeigt, dass Jeff Bezos die Redaktion massiv beeinflusst, die Marke nachhaltig beschädigt und das Vertrauen der Leserinnen und Leser untergraben hat. Diese Entwicklungen tragen zu einem weiteren beträchtlichen Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust aller Medien bei, da diese Beispiele das Vorurteil bedienen, dass Zeitungen nicht unabhängig agieren. Die ohnehin prekäre Lage der Medien wird dadurch weiter verschärft.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie sich die aktuelle Situation in der Sportwelt darstellt. Die politischen Äußerungen oder Nicht-Äußerungen von Sportler*innen geben Aufschluss über die Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas in den USA. Sowohl Donald Trump als auch Kamala Harris erhalten öffentliche Unterstützung von Sportler*innen, wobei der Großteil dieser Unterstützung von ehemaligen Sportler*innen stammt. In dieser Hinsicht lässt sich ein signifikanter Unterschied zu den Wahlen im Jahr 2020 feststellen. Gleichwohl gibt es nach wie vor prominente Sportler*innen aus der ersten Riege, die sich klar für einen Kandidaten aussprechen. An erster Stelle sind hier die beiden Golden State Warriors, Steph Curry und sein Trainer Steve Kerr, zu nennen, die ihre Unterstützung der aktuellen Vizepräsidentin zusicherten. Die öffentliche Unterstützung von Sportler*innen für politische Kandidaten erfolgt in der Regel durch Videos oder Live-Ansprachen. Ein Beispiel hierfür ist das Unterstützungsvideo von Steph Curry während der DNC sowie die Live-Rede von Steve Kerr. Beide positionierten sich eindeutig, öffentlichkeitswirksam und frühzeitig. In den vergangenen Tagen hat Gregg Popovich für Aufsehen gesorgt, indem er während einer Pressekonferenz seine starke Abneigung gegenüber Trump nachdrücklich untermauerte. Damit hat er Kerrs Ausführungen ergänzt.

Auch in diesem Wahlkampf spielt Sport eine Rolle, wenngleich nicht die entscheidende, so doch möglicherweise die ausschlaggebende. Erst im September hat die Harris-Kampagne die Initiative „Athletes for Harris“ ins Leben gerufen, deren Mitglieder fast ausnahmslos ehemalige Spieler sind. Zu den Mitgliedern gehören ehemalige Spitzensportler wie Magic Johnson, Billie Jean King, Ali Krieger, Candice Parker, Dawn Staley und der noch aktive ehemalige NBPA-Gewerkschaftspräsident und NBA-All Star Chris Paul.

Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen in den USA hat sich LeBron James, das Aushängeschild der NBA, der in den vergangenen Jahren immer die demokratischen Kandidaten unterstützt hat, gestern mit einem Post und einem Video inklusive der Trump-Rallye im Madison Square Garden klar positioniert. James hatte den ehemaligen Präsidenten Trump bereits als „Penner“ bezeichnet. So ist es nicht verwunderlich, dass James in den letzten Tagen des Wahlkampfes dazu aufruft, Harris als Präsidentschaftskandidatin zu unterstützen. Ob seine Stimme allerdings einen wirklichen Mehrwert bringen wird, bleibt abzuwarten. Es lässt sich feststellen, dass James den Namen Harris als weniger bekannte politische Persönlichkeit abermals ins öffentliche Bewusstsein rückt. Weitere prominente Befürworterinnen und Befürworter für Harris sind die Mitglieder der Frauen-Basketball-Nationalmannschaft, die sich eindeutig bei den Olympischen Spielen zu Wort meldeten und die Wahl von Kamala Harris als alternativlos bezeichneten.

Die WNBA als Ganzes kann als interessantes und wichtiges Fallbeispiel bezeichnet werden, das für viele männliche Kollegen eine Vorbildfunktion im Hinblick auf Athletenaktivismus einnimmt. So haben sich auch dieses Jahr die Seattle Storm als einziges Team öffentlich für die Wahl von Harris ausgesprochen. Die WNBA ist wahrscheinlich die politisch engagierteste Profi-Sportliga der Welt, was ihr auch marketingtechnisch erstaunlich geholfen hat. Es kann konstatiert werden, dass der politische Aktivismus ihrer Spieler*innen einer der Gründe für die stark wachsende Popularität war. Sie trugen auch wesentlich zu politischen Erfolgen bei, wie z.B. Reverend Warnock in Georgia, der schließlich zum Wahlsieg von Joe Biden führte.

Im Vergleich zu Harris genießt Trump in der Kampfsport- und Wrestling-Szene deutlich mehr Zustimmung. In der Kampfsport- und Wrestling-Szene wird er von vielen als Kultfigur („Combatant in Chief“) betrachtet. Im Verlauf des vergangenen Jahres nahm Trump an mindestens vier UFC-Veranstaltungen teil. Dabei inszenierte er sich in einer Art und Weise, die Assoziationen zu einem Kämpfer weckt. Die Auftritte wurden von einer dramatischen musikalischen Untermalung begleitet und fanden vor einem Gefolge statt, das ihn wie einen Helden feierte (vgl. Cabral, 2024).

Trump war es auch der vor ca. 20 Jahren der UFC kurz vor der Insolvenz sein Hotel in New Jersey für Kämpfe zur Verfügung stellte und damit die Organisation vor der Insolvenz rettete. Laut eigenen Angaben der UFC verzeichnet diese heute 42 Millionen Fans in den USA. Das Durchschnittsalter der Zielgruppe liegt bei 35 Jahren, wobei 70 Prozent der Nutzer männlich sind. Des Weiteren sind sie überproportional afroamerikanisch und lateinamerikanisch, ein Segment, das Trump für seine Wahl ins Visier genommen hat. Während einige Sportorganisationen eine liberale Politik unterstützen, orientiert sich die UFC konsequent an rechten Ideologien. UFC-Chef White und Trump, langjährige Geschäftspartner, ist es gelungen, Randgruppen anzusprechen und in den Mainstream zu integrieren und so MMA als halboffizielle Sportart der „Make America Great Again“-Kampagne (MAGA) zu etablieren.UFC Chef Dana White verfügt zudem über exzellente Kontakte in den russischen Sport- und Machtapperat. Ein beträchtlicher Anteil der Kämpfer seiner Sportart stammt aus der ehemaligen russischen Föderation. Zwischen beiden Bewegungen gibt es vielfältige Verstrickungen. Trumps Wahlkampfsprecher z.B. Steven Cheung ist ein ehemaliger Mitarbeiter der U.F.C. (vgl. Haberman, 2024). Erst vor zwei Tagen sprach Wrestler Hulk Hogan vor seinem Publikum im Madison Square Garden. Parallel zu den Entwicklungen in Europa ist auch in den USA in den letzten zehn Jahren eine Zunahme rechtsextremistischer Aktivitäten im Bereich des MMA-Kampfsports zu beobachten. Dabei versuchen Rechtsextremisten, die Attraktivität des Kampfsports für ihre Zwecke zu nutzen, indem sie versuchen, Anhänger für ihre Ideologie zu gewinnen. Zudem vermitteln sie Rechtsradikalen Kampffähigkeiten, die diese dann in ihrem Sinne einsetzen können.

Des Weiteren existiert eine signifikante Anzahl von Athleten, die ihre Präferenz für Donald Trump durch Social-Media-Posts und Andeutungen in Pressekonferenzen erkennen lassen. Insbesondere unter den NFL-Spielern lässt sich eine gewisse Zustimmung für den Ex-Präsidenten beobachten. Auch der ehemalige NFL-Star Brett Favre wirbt in Wisconsin für Trump, wobei auch er dem Kreis der ehemaligen Sportler*innen zuzuordnen ist.

Es lässt sich konstatieren, dass aktive Sportler*innen innen sich zurückhaltend hinsichtlich einer Empfehlung für eine Kandidatin oder einen Kandidaten zeigen. Das politische Klima hat sich seit 2020 verändert, sodass eine weitere Verschärfung der politischen Spaltung der Bevölkerung zu beobachten ist. Für zahlreiche Amerikaner stellt die zunehmende „Wokeness“ innerhalb der Gesellschaft eine Bedrohung ihrer eigenen Lebensweise dar. Unabhängig davon, auf welcher Seite ein Sportler Position bezieht, muss er mit Kritik und auch Anfeindungen seitens beider Seiten rechnen. Das politische und gesellschaftliche Klima ist zunehmend rauer und von einer Verrohung der Sitten geprägt. In Anbetracht der besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit, die solchen Äußerungen zukommt, ist nicht jeder Sportler gewillt, sich in einem solchen Klima zu positionieren. Des Weiteren können eigene sowie externe wirtschaftliche Interessen eine Einflussnahme oder gar Manipulation der Meinung bewirken. In Reaktion auf den Mord an George Floyd äußerten sich zahlreiche Athleten. LeBron James fungierte als führender Akteur der Kampagne „More Than a Vote“. Die jüngsten Monate haben jedoch zu einer weiteren Veränderung des politischen Klimas geführt, wobei eine Radikalisierung der Gesellschaft zu beobachten ist. Zudem haben sich die wichtigsten Themen im Präsidentschaftsrennen verschoben.In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass LeBron James die Schirmherrschaft der Kampagne „More Than a Vote“ an Nneka Ogumike von den Seattle Storm abgegeben hat. Dies kann auf taktische Überlegungen zurückzuführen sein, da Ogumike eine Koalition von Sportlerinnen innen, darunter Aja Wilson und Brianna Stewart, zusammengestellt hat, um über Frauenrechte und reproduktive Freiheit aufzuklären.

In Summe lässt sich eine deutlich geringere Anzahl von Athletinnen und Athleten beobachten, die sich in einem breiten Kontext zu den aktuellen Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten äußern. Es stellt sich die Frage, ob sich einzelne Athletinnen und Athleten auch zurückhalten, weil sie mit dem Umgang der beiden Kandidaten mit dem Israel-Palästina-Konflikt unzufrieden sind. Sofern sie sich denn überhaupt äußern, lassen die jeweiligen Aussagen vielfach Zweifel daran aufkommen, ob diese als Empfehlung („Endorsement“) gewertet werden können. Es ist möglich, dass die Sportler*innen zunehmend müde sind, sich zu den wiederkehrenden politischen Konflikten zu äußern. Die wiederkehrende Warnung vor einer Trump-Diktatur wird seit mehreren Präsidentschaftswahlen gebetsmühlenartig wiederholt. Allerdings kann diese Tatsache nicht endlos oft wiederholt werden, auch wenn sie weiterhin wahr ist.

In der Konsequenz ist es möglich, dass die Wahlbeteiligung der Bevölkerung bei der diesjährigen Wahl entsprechend zurückgehen wird. Gleichzeitig bedeutet dies, dass hochkarätige Unterstützungen wieder an Bedeutung gewinnen. Obgleich das Land aktuell so politisch polarisiert ist wie nie zuvor, wird es dennoch eine geringe Anzahl unentschlossener Wähler geben, die durch die Worte von Sportler*innen noch erreicht werden können. In Anbetracht der vorliegenden Umstände kann prognostiziert werden, dass die Entscheidung über den Ausgang der Wahl durch wenige Tausend Stimmen beeinflusst wird. Infolgedessen können klare Äußerungen von Sportstars einen relevanten Einfluss auf das Wahlergebnis ausüben.

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Autor: derballluegtnicht

Writes about the politics of sports. For him sports and politics always mix.

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