Sport und Politik vermischen sich immer – auch in den sozialen Medien. Sportvereine tragen Verantwortung – auf und neben dem Court. Doch was passiert, wenn ihre Werte mit Strukturen kollidieren, über die sie kommunizieren? Das Problem: X (ehemals Twitter).
Unter Elon Musk ist X keine neutrale Plattform mehr, die unterschiedliche politische Positionen gleichberechtigt zulässt. Sie wird vielmehr gezielt genutzt, um Desinformation zu verbreiten und demokratische Strukturen zu destabilisieren. Bundesligavereine aller Sportarten, die X nutzen, legitimieren – bewusst oder unbewusst – diese Entwicklungen. Aus soziologischer Perspektive sind Sportvereine, auch die Profivereine, mit ihrer engen Verbindung zum Breitensport (im Basketball z.B. über ihre Jugendteams JBBL, NBBL aber auch regionalen Teams), noch als wertsetzende Institutionen einzuordnen. Sie nehmen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs und proklamieren sich selbst als Inbegriff von Diversität, Fairness und sozialer Verantwortung. Die fortgesetzte Präsenz der Vereine auf X lässt die Vermutung zu, dass sie das dort vorherrschende toxische Klima stillschweigend akzeptieren.
Gemäß der eigenen Darstellung ist der deutsche Basketball von Werten wie Gemeinschaft, Vielfalt und Respekt sowie vielen weiteren Eigenschaften, auch durch die international erfolgreichen Nationalspieler positiv geprägt. Eine Analyse der Inhalte der Plattform X ergibt, dass diese Prinzipien und Eigenschaften online auf X gravierend verletzt werden. So werden Hassreden, Diskriminierung und autoritäre Narrative verbreitet. Die Vereine tragen durch ihren Verbleib auf der Plattform dazu bei, dass auch ihre Fans weiterhin auf der Plattform verweilen, um die Höhepunkte und Informationen der Vereine nicht zu verpassen. Gleichzeitig sind sie, unter ihnen auch jüngere Fans, dadurch zunehmend der Desinformation und dem Hass der Plattform zwischen den Tweets der Vereine ausgesetzt. Die daraus resultierende Frage lautet: Wie ist diese Diskrepanz der Vereine/ Akteure zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu erklären?
Welche Interessen beeinflussen die Vereine, auf X zu verbleiben, ist die hohe Weitreiche tatsächlich der Grund oder gibt es womöglich einen Interessenkonflikt, der für die Basketball-Bundesliga von Relevanz ist? Die Übertragung der Spiele über den Streaming-Dienst Dyn erfolgt unter massiver finanzieller Unterstützung durch den Springer-Verlag. Das Springer-Medienunternehmen war es auch, das in der deutschen Tageszeitung Die Welt Musk am Wochenende ermöglichte, eine Wahlempfehlung für die rechtsextreme Partei AfD abzugeben. Dieses Vorgehen des Medienhauses lässt sich nicht nur eine erhebliche Nähe vermuten, sondern muss leider auch als aktive Förderung von Musks politischer Agenda interpretiert werden. Soziologisch ist festzuhalten, dass Springer ein Akteur mit maßgeblicher Macht in der deutschen Medienlandschaft ist. Birgt die indirekte Verbindung zwischen Springer, Musk und der Basketball-Bundesliga das Potenzial, die Genese eines Systems gegenseitiger Abhängigkeiten zu bedingen, in dem sich die Vereine und die Liga in einem Feld bewegen, in dem sie Gefahr laufen, ihre Autonomie zu ignorieren bzw. zu verlieren? (Und das, obwohl Dyn selbst fast stiefmütterlich auf X agiert). Aber auch derartige Fragen bzw. Verstrickungen können den Verbleib in keiner Weise mehr rechtfertigen.
Ferner demonstrieren Vereine wie Alba Berlin das Gegenteil, dass sich sportliche Beteiligung der Jugend (Grundschulliga und Jugendkonzept z.B. in der Gropiusstadt) positiv auf die Berliner Gesellschaft auswirken kann. Ebenso beeindruckend ist die Jugendarbeit vieler anderer Vereine, wie z.B. den Hamburg Towers. All diese Initiativen stehen für Offenheit und Förderung.
Deshalb muss die Frage aufgeworfen werden, wie eine Liga, die sich als familienfreundlich, international und weltoffen darstellt, auf einer Plattform verbleiben kann, deren Symbolik das Gegenteil von Gemeinschaft und Toleranz verkörpert und alle sozialen Initiativen der Vereine untergräbt. Jede weitere Nutzung von X generiert Traffic. Dieser Traffic generiert Umsätze für Musks Unternehmen, was es wiederum am Leben erhält. Der daraus resultierende Umsatz wird genutzt, um autoritäre Machtstrukturen weltweit zu stärken. Es obliegt den Vereinen, sich die Frage zu stellen, ob sie Teil dieses negativen digitalen Teufelskreises sein wollen. Aktuell posten Bundesligavereine und die Liga mehrmals täglich, mit ganz unterschiedlicher Reichweite. Aber ihre Reichweite als Liga inklusive der Vereine begünstigt den Erfolg der destruktiven Plattform, sodass sie eine institutionelle Mitschuld an der weiteren Entwicklung tragen.
Alternativen wie Bluesky bieten Potenzial, sind aber derzeit noch deutlich kleinere Marktteilnehmer. Die Basketball-Bundesliga könnte durch ihre Reichweite und ihre durchaus aktive Community bzw. Bubble (eine sehr sympathische) einen Beitrag zum Aufbau dieser Plattformen und zur Generierung medienbezogener Aufmerksamkeit leisten. Auf Plattformen wie Bluesky wird von den aktuellen Usern die Ankunft der Vereine und ihre Highlightvideos bereits mit Spannung erwartet. So haben Alternativen durchaus ein Win-Win Potenzial, wenn auch ehrlich nicht von Beginn. Es braucht Ausdauer.
In einer bemerkenswerten Wendung der Ereignisse haben zwei der größten Zeitungen der Vereinigten Staaten, die Washington Post und die Los Angeles Times, ihre ursprünglichen Pläne, eine Kandidatin bzw. einen Kandidaten zu unterstützen, geändert. In beiden Fällen wurde seitens der Eigentümer der Zeitungen entschieden, einen Leitartikel, der sich für die Unterstützung von Kamala Harris aussprach, nicht zu veröffentlichen. Dabei hatte die Washington Post z.B. Jahrzehnte damit verbracht, ihren Lesern zu versichern, dass sie sich nicht von den Mächtigen beeinflussen lässt, dass man ihr vertrauen kann und sie unabhängig berichtet. Die Entwicklungen der letzten Woche haben jedoch gezeigt, dass Jeff Bezos die Redaktion massiv beeinflusst, die Marke nachhaltig beschädigt und das Vertrauen der Leserinnen und Leser untergraben hat. Diese Entwicklungen tragen zu einem weiteren beträchtlichen Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust aller Medien bei, da diese Beispiele das Vorurteil bedienen, dass Zeitungen nicht unabhängig agieren. Die ohnehin prekäre Lage der Medien wird dadurch weiter verschärft.
In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie sich die aktuelle Situation in der Sportwelt darstellt. Die politischen Äußerungen oder Nicht-Äußerungen von Sportler*innen geben Aufschluss über die Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas in den USA. Sowohl Donald Trump als auch Kamala Harris erhalten öffentliche Unterstützung von Sportler*innen, wobei der Großteil dieser Unterstützung von ehemaligen Sportler*innen stammt. In dieser Hinsicht lässt sich ein signifikanter Unterschied zu den Wahlen im Jahr 2020 feststellen. Gleichwohl gibt es nach wie vor prominente Sportler*innen aus der ersten Riege, die sich klar für einen Kandidaten aussprechen. An erster Stelle sind hier die beiden Golden State Warriors, Steph Curry und sein Trainer Steve Kerr, zu nennen, die ihre Unterstützung der aktuellen Vizepräsidentin zusicherten. Die öffentliche Unterstützung von Sportler*innen für politische Kandidaten erfolgt in der Regel durch Videos oder Live-Ansprachen. Ein Beispiel hierfür ist das Unterstützungsvideo von Steph Curry während der DNC sowie die Live-Rede von Steve Kerr. Beide positionierten sich eindeutig, öffentlichkeitswirksam und frühzeitig. In den vergangenen Tagen hat Gregg Popovich für Aufsehen gesorgt, indem er während einer Pressekonferenz seine starke Abneigung gegenüber Trump nachdrücklich untermauerte. Damit hat er Kerrs Ausführungen ergänzt.
Auch in diesem Wahlkampf spielt Sport eine Rolle, wenngleich nicht die entscheidende, so doch möglicherweise die ausschlaggebende. Erst im September hat die Harris-Kampagne die Initiative „Athletes for Harris“ ins Leben gerufen, deren Mitglieder fast ausnahmslos ehemalige Spieler sind. Zu den Mitgliedern gehören ehemalige Spitzensportler wie Magic Johnson, Billie Jean King, Ali Krieger, Candice Parker, Dawn Staley und der noch aktive ehemalige NBPA-Gewerkschaftspräsident und NBA-All Star Chris Paul.
Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen in den USA hat sich LeBron James, das Aushängeschild der NBA, der in den vergangenen Jahren immer die demokratischen Kandidaten unterstützt hat, gestern mit einem Post und einem Video inklusive der Trump-Rallye im Madison Square Garden klar positioniert. James hatte den ehemaligen Präsidenten Trump bereits als „Penner“ bezeichnet. So ist es nicht verwunderlich, dass James in den letzten Tagen des Wahlkampfes dazu aufruft, Harris als Präsidentschaftskandidatin zu unterstützen. Ob seine Stimme allerdings einen wirklichen Mehrwert bringen wird, bleibt abzuwarten. Es lässt sich feststellen, dass James den Namen Harris als weniger bekannte politische Persönlichkeit abermals ins öffentliche Bewusstsein rückt. Weitere prominente Befürworterinnen und Befürworter für Harris sind die Mitglieder der Frauen-Basketball-Nationalmannschaft, die sich eindeutig bei den Olympischen Spielen zu Wort meldeten und die Wahl von Kamala Harris als alternativlos bezeichneten.
Die WNBA als Ganzes kann als interessantes und wichtiges Fallbeispiel bezeichnet werden, das für viele männliche Kollegen eine Vorbildfunktion im Hinblick auf Athletenaktivismus einnimmt. So haben sich auch dieses Jahr die Seattle Storm als einziges Team öffentlich für die Wahl von Harris ausgesprochen. Die WNBA ist wahrscheinlich die politisch engagierteste Profi-Sportliga der Welt, was ihr auch marketingtechnisch erstaunlich geholfen hat. Es kann konstatiert werden, dass der politische Aktivismus ihrer Spieler*innen einer der Gründe für die stark wachsende Popularität war. Sie trugen auch wesentlich zu politischen Erfolgen bei, wie z.B. Reverend Warnock in Georgia, der schließlich zum Wahlsieg von Joe Biden führte.
Die gegenwärtige Lage des deutschen Spitzensports gibt Anlass zu einer erneuten Diskussion über die Formen der Spitzensportförderung. Das Abschneiden der deutschen Olympiamannschaft in Paris erfordert eine Analyse der unbefriedigenden Entwicklung, um etwaige Maßnahmen zur Verbesserung ableiten zu können. Dies kann nur über eine ehrliche Bestandsaufnahme geschehen, was für den deutschen Spitzensport eine Herausforderung darstellt. Die Erfolgsquote der deutschen Olympiamannschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten fortlaufend gesunken, wobei Deutschland diejenige westliche Industrienation ist, die in den vergangenen Jahrzehnten die geringste Anzahl an Medaillen bei Olympischen Spielen gewonnen hat. Obgleich die Anzahl der Wettbewerber*innen weltweit zugenommen hat, muss konstatiert werden, dass ein maßgeblicher Konkurrent hinsichtlich potenzieller Medaillen, Russland, aufgrund seines Angriffskriegs gegen die Ukraine nur mit einer geringen Anzahl an Athlet*innen in Paris vertreten war. Die Chancen auf Medaillenplätze waren so vor Paris gestiegen, das Abschneiden erbrachte das schlechteste Ergebnis seit Barcelona 1992, vorausgesetzt der einzige Parameter ist Medaillen. Doch ist der Medaillenspiegel als eine Art von Erfolgsanalyse geeignet? Ein Vergleich mit dem Ergebnis in Barcelona erscheint wenig zielführend, da ein Teil der guten Leistungen der Bundesrepublik noch auf das DDR-Staatsdoping zurückzuführen waren.
Jährlich werden beträchtliche Summen in den Spitzensport investiert. Neben den über 300 Millionen Euro Bundesmitteln fließen weitere Mittel der Bundeswehr, der Polizei und des Zolls sowie direkte Zahlungen der Länder in den deutschen Spitzensport, so dass von einer Unterfinanzierung des Leistungssports keine Rede sein kann. Allerdings besteht gesellschaftlich ein Konsens darüber, die finanzielle Wertschätzung der Athletinnen über Prämien für Medaillengewinnerinnen zu erhöhen und steuerliche Erleichterungen für Spitzensportlerinnen zu schaffen. Eine Ursache für die fehlende Erfolgsentwicklung sind Effizienz- und Bürokratieprobleme, offensichtlich typisch deutsche Phänomene. Ein System, das eine angemessene Förderung leisten und Missbrauch und Korruption verhindern will und soll, entwickelt sich zu einem Bürokratie- und Ineffizienzmonster. Zudem führen unnötige Scheindebatten zu möglichen Einstellungsproblemen der heutigen Athletinnengeneration nicht weiter. Es ist ein Trugschluss, auch vieler Expert*innen, dass Leistung auf Zwang oder Leid basieren muss. Vielmehr kann Leistung durch Spaß am Training und auf einer angemessenen und gesunden Leidensfähigkeit basieren. Aktuelle Erfolge deutscher Sportler*innen in verschiedenen Disziplinen verdeutlichen, wie überflüssig eine Debatte um die Einstellung von Nachwuchssportler*innen ist.
Des Weiteren ist zu konstatieren, dass ein signifikanter Anteil der Athlet*innen die duale Karriere, unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung, als intellektuelle Bereicherung und nicht als Belastung empfindet. Die Frage, warum diese Form der Spitzensportkarriere (besonders Spitzensport und Studium) seitens des Staates nicht wie durch die Sporthilfe intensiver gefördert wird, bleibt seit Jahrzehnten unbeantwortet und erscheint schleierhaft. Universitäten könnten ausgeschriebene Fördermittel für Nachwuchsleistungssportler*innen unmittelbar beantragen und Stipendien an Leistungssportler*innen vergeben. Inzwischen ist es Hochschulen möglich, auf unterschiedliche Lebensmodelle ihrer Studierenden flexibel einzugehen. Diese Möglichkeit wird seitens der Entscheidungsträgerinnen jedoch unzureichend genutzt. Einen universell erfolgreichen Ansatz gibt es nicht, doch die quasi “Planwirtschaft” des deutschen Spitzensports behindert seit Jahrzehnten den eigenen Erfolg und ist mit ein Grund für die signifikante Ineffizienz. Bereits im Jugendalter werden die Nachwuchsathlet*innen in ein System gepresst, das eine vorgegebene Biografie fördert, anstatt Individualität zuzulassen, selbst dann, wenn die Athlet*innen nicht Teil des aktuellen Systems sein wollen. Die, die sich dem System anpassen. erhalten die beste finanzielle Förderung. Alle anderen müssen zurückstecken bzw. die Karriere in einem größeren Ausmaß selbst finanzieren. Folglich ist im Jugendalter der Besuch der Eliteschulen des Sports vorgesehen, anschließend der gewünschte Weg über die Bundeswehr, die Polizei und den Zoll. Diese Strukturen resultieren in einer signifikanten Anzahl von Drop-outs unter Nachwuchsathlet*innen beim Übergang von Schule zum Studium, was insbesondere bei Athlet*innen zu beobachten ist, die alternative Biografien präferieren (Auch der Breitensport verliert in diesem Alter eine erhebliche Anzahl an Mitgliedern). Genau für die Athlet*innen, die sich nicht ins System hineinzwängen lassen möchten, bedarf es neben einer generellen Zentralisierung Insellösungen, die individuelle duale Karrieren in einem gewünschten Umfeld von Trainer*innen, Betreuer*innen und Ausbildern/ Dozenten ermöglichen. In diesen Fällen erscheint eine direkte, servicegebundene Förderung sinnvoll. Unterschiedliche Ansätze und Biografien sollten auch Sportler*innen mit divergenten Bedürfnissen ermöglichen, unterschiedliche Wege einzuschlagen, um letztendlich zu sportlichem Erfolg zu gelangen. Die Annahme, dass eine dezentrale Förderung keine positiven Effekte hervorbringt, ist ein Irrtum. Wichtig ist die Bereitstellung von Alternativen für die Sportler*innen. Dies impliziert, dass die betreffenden Athletinnen in ihrer vertrauten Umgebung weiter trainieren können und nicht dazu gezwungen werden, an das Leistungszentrum der Wahl des Verbandes überzuwechseln. Warum sollen bereits erfolgreiche Sportler*innen, die ein stimulierendes Umfeld gefunden haben, in dem sie sich wohlfühlen und in dem sie ihre Leistung steigern, aus diesem herausgezogen und an einen unbekannten Ort verfrachtet werden? Sicherlich sind auch Insellösungen wie die Zentralisierung kein Allheilmittel, aber sie sind Optionen.
Was für einen Leistungssport wollen wir als Gesellschaft?
Eine grundlegende Debatte zur Rolle des Breiten- und Spitzensports in der deutschen Gesellschaft ist auch für die Spitzensportreform erforderlich. Wofür soll der Sport stehen, welche Rolle soll er in der Gesellschaft einnehmen, welche Ziele soll er verfolgen und auf welche Weise sollen diese Ziele als Kollektiv erreicht werden? Und wie kann der Leistungssport sich in das auszudiskutierende Konstrukt integrieren? Ohne eine Beantwortung dieser Fragen erscheinen erneute Reformdebatten zum deutschen Leistungssport im Rahmen einer Spitzensportreform 2.0 wenig zielführend. Eine sinnvolle Verteilung von Fördermitteln wird nur dann möglich sein, wenn gesellschaftlich Einigkeit darüber besteht, wofür der Sport stehen soll. Diese Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Ein mit von Athleten Deutschland initiiertes Forschungsprojekt des BISP soll nun nach Jahren des Stillstands den gesellschaftlichen Nutzen des Spitzensports in Deutschland analysieren. Dazu wird im zweiten Teil, neben systematischen Übersichtsarbeiten (im ersten Teil), eine repräsentative Bevölkerungsbefragung durchgeführt, die die Wahrnehmung und Bedeutung des Spitzensports in der deutschen Gesellschaft bei Jugendlichen und Erwachsenen untersucht. So sollen fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse für die öffentliche Debatte um die Spitzensportförderung bereitgestellt werden. Die Projektlaufzeit von 18 Monaten ist für eine Evaluation solcher Fragestellungen sehr ambitioniert und es besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse nicht mehr in die aktuellen Diskussionen und Entscheidungen zum Spitzensport einfließen. Ein weiteres Problem stellt die unzureichende Datengrundlage hinsichtlich der Spitzensportstrukturen dar. Es lässt sich konstatieren, dass sowohl Landesverbände, Verbände als auch der DOSB bisher kein wirkliches Interesse gezeigt haben, belastbare Daten zu erheben, welche Stützpunkte, Angebote und Serviceleistungen wie häufig und wo tatsächlich in Anspruch genommen werden. Dies ist ein schwerwiegender Fehler. Es wäre von großem Interesse, die Frequentierung der (Olympia-) Stützpunkte sowie die Inanspruchnahme der angebotenen Serviceleistungen zu ermitteln. Inwiefern werden die Angebote und Serviceleistungen von den Athlet*innen hinsichtlich ihrer Qualität bewertet? Welche Serviceleistungen sind erwünscht? Welche Strukturen werden präferiert? Diese Fragestellungen bleiben seit Jahrzehnten unbeantwortet. Stattdessen äußern zahlreiche Akteure die Hoffnung das neue Sportfördergesetz könnte eine Lösung für die Probleme des deutschen Spitzensports sein. Obgleich der Wunsch nach einem Gesetz durchaus als sinnvoll und erfreulich zu werten und eine Verbesserung zu erhoffen ist, stehen die Vorzeichen für eine weitreichende Umsetzung der Inhalte des Gesetzes aufgrund der bisherigen Erfahrungen und fehlenden Datengrundlage eher schlecht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die grundlegenden Debatten zum Thema Sport bislang nicht geführt wurden (s.o.) und der Gesetzesentwurf keine belastbaren Daten mit einbezieht. Zudem fehlt dem Gesetzesentwurf eine echte Definition des Spitzensportlers, wie in anderen europäischen Ländern durchaus üblich (siehe z.B. Kroatien). Einmal mehr wird das bestehende System von Funktionären und Verbänden verteidigt, wobei Aspekte wie die besonders wichtige Nachwuchsförderung in den Arbeitsgruppen der Spitzensportreform 2.0 unzureichend ausgearbeitet werden.
Der Medaillenspiegel – Europäische Sportnationen im Vergleich – Paris 2024
Gegenwärtig wird erneut die Frage erörtert, auf welche Weise eine Veränderung der Strukturen Deutschland näher an Vorbildnationen wie Großbritannien, Frankreich oder die Niederlande heranführen könnte. Bei einem Vergleich mit diesen Nationen und einer Analyse der Länder anhand ihrer Einwohnerzahl sowie ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Bruttoinlandsprodukt) weist Deutschland eine negative Entwicklung auf. Sich von anderen Modellen inspirieren zu lassen ist nachvollziehbar, sollte in diesem Kontext die Frage berücksichtigen, welche Faktoren für den Erfolg dieser Länder maßgeblich sind. Spitzensportliche Verhandlungen im Vereinigten Königreich sind durch eine besondere Härte gekennzeichnet. Dies trifft insbesondere auf Sportarten zu, die die in sie gesetzten Erwartungen hinsichtlich internationaler Erfolge bei Turnieren und den Olympischen Spielen nicht erfüllen. In diesen Fällen erfolgt eine Reduktion der Finanzierung auf ein Minimum, ein Prinzip der Aussortierung erfolgloser Sportarten als Relikt aus DDR-Zeiten. Sind die britischen Strukturen für den deutschen Spitzensport erstrebenswert? Eine Übertragung auf den deutschen Spitzensport erscheint wenig sinnvoll, zumal in Deutschland aufgrund des breitgefächerten Vereinssystems der Breitensport eine wichtige Rolle spielt, was die Förderung junger Talente einschließt. Eine vielseitige sportliche Ausbildung von Jugendlichen kann dazu beitragen, mehr Talente im gesamten Spitzensport zu integrieren. In Bezug auf das britische Spitzensportsystem ist zu beachten, dass der Verdacht groß ist, dass die Erfolge dieses Systems nicht ausschließlich auf legalen Mitteln basierten. Der französische Spitzensport hatte in den Monaten vor den Olympischen Spiele mit einem umfangreichen Missbrauchsskandal im eigenen System zu kämpfen. Die Aufarbeitung wurde durch ranghohe Politiker auf die Zeit nach den Spielen verschoben. Auch deshalb ist es schwierig, die Erfolge des französischen Teams korrekt einzuordnen.
Das niederländische Spitzensportsystem genießt international Vorbildcharakter, das Land gewinnt mit einer geringen Einwohnerzahl überproportional viele Gold- und Silbermedaillen und ist folglich besonders erfolgreich. Die effektive Nutzung der Potentiale der Athletinnen ist ein wesentlicher Faktor für diesen Erfolg. Die hohe Erfolgsquote mit einer effektiven Förderung wird mit auf ein produktives Leistungszentrum für den Leistungssport zurückgeführt, wobei die damit verbundene Zentralisierung als ein wichtiger Faktor betrachtet wird. Der Erfolg der niederländischen Sportlerinnen ist jedoch nicht nur auf die Zentralisierung zurückzuführen, sondern maßgeblich auch auf das Ermöglichen unterschiedlicher dualer Karrieren sowie dem Bereitstellen von angemessenen Fördersummen für Spitzensportlerinnen. Sie erhalten einen soliden Grundbetrag, der ihnen eine biografische Planungssicherheit verschafft. Im Gegensatz zum deutschen Spitzensport, in dem eine soziale Absicherung in vielen Fällen nicht gewährleistet ist, erhalten die Sportlerinnen vor Ort deutlich höhere finanzielle Zuwendungen und auch die Möglichkeit, neben ihrer sportlichen Laufbahn ein Studium zu absolvieren. In Deutschland hingegen zeigt sich eine Inkompatibilität hinsichtlich dualer Karrieren, insbesondere durch die unzureichende finanzielle Unterstützung der dualen Karriere “Spitzensport und Studium”, die studentische Spitzensportlerinnen oft ausbremst. Die Annahme, dass Erfolge im Leistungssport ausschließlich durch eine Fokussierung auf den Sport selbst zu erreichen sind, ist im deutschen Spitzensportsystem nach wie vor weit verbreitet, wird aber auch seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert, ohne dass bislang eine effektive Lösung gefunden worden wäre. Über eine stärkere Zentralisierung wird eine Effizienzsteigerung erhofft. Die internationalen Beispiele verdeutlichen, dass eine Zentralisierung in einigen Sportarten zwar einen positiven Effekt haben kann, jedoch ein entscheidende Faktor scheint eine direkte finanzielle Förderung („Spitzensportgeld“) von Spitzensportler*innen über einen längeren Zeitraum, der Planungssicherheit verspricht, zu sein. Die Beispiele Großbritanniens und der Niederlande demonstrieren, dass eine effektive und umfangreiche Förderung von Spitzensportler*innen nicht innerhalb einer Olympiade sondern über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren erforderlich ist, um nachhaltige Erfolge in der Weltspitze zu erzielen, denn nur eine Unterstützung über einen derart langen Zeitraum erzeugt eine signifikante Steigerung der Erfolgschancen für die jeweiligen Sportler*innen. Auch für den deutschen Spitzensport kann eine langfristige und umfangreiche Förderung, insbesondere die direkte Förderung über ein Spitzensportgeld (direkte Zahlung an die Sportler*innen, Geld, das sie zweckgebunden selbst investieren können), ein grundlegender Faktor für zukünftige Erfolge der deutschen Olympiamannschaft sein
Das deutsche System agiert seit Jahrzehnten träge, auch weil auf verschiedenen Ebenen finanzielle Mittel, die in den Spitzensport investiert werden, scheinbar verloren gehen. Die aktuelle Situation des deutschen Spitzensports ähnelt einem Teufelskreis. Die Prognose für die Zukunft ist wenig vielversprechend. Es ist bedauerlich, dass seit Jahrzehnten über die gleichen Punkte diskutiert wird, die Entlohnung der Trainer*innen (hochqualifizierte Trainer*innen werden oft schlecht bezahlt oder wandern ins Ausland ab), die finanzielle Unterstützung der Athlet*innen sowie die Effizienz des Fördersystems inklusive der Stützpunkte, ohne große Änderung an den Strukturen. In diesem Kontext erweist sich das föderalistische System als wenig vorteilhaft. Die einzelnen Bundesländer vertreten ihre eigenen Interessen, auch bezogen auf die Stützpunkte. Der kränkelnde „Sportpatient“ wird so durch aktuell implementierte Reförmchen sowie die staatliche Förderung lediglich künstlich in seiner gegenwärtigen Form stabilisiert. Doch die einzelnen Maßnahmen führen keine signifikanten und systemischen Veränderungen herbei, die den bestehenden Reformstau nachhaltig abbauen. Verbände, Vereine sowie Funktionäre sind im deutschen Förderdschungel gefangen und kämpfen permanent um Fördermittel. Eine kritische Betrachtung der Förderstrukturen sowie eine Wahrnehmung externer Impulse als Chance für Veränderung findet selten statt. Das Problem ist nicht in einem Mangel an finanziellen Ressourcen oder Ideen für den Spitzensport zu verorten, sondern in einer ineffizienten Verwendung und fehlgesteuerten Verteilung dieser Mittel. In diesem Kontext ist hervorzuheben, dass ein Großteil der finanziellen Mittel in die Strukturen/Verbände investiert wird, während Trainer*innen und Athlet*innen in einem geringeren Maße von den Fördergeldern direkt profitieren. Eine Lösung für einen effizienteren Einsatz der finanziellen Ressourcen kann somit in zwei Hauptstränge unterteilt werden:
Zum einen durch die direkte Auszahlung eines Spitzensportgeldes an die Athlet*innen (eine höhere Effektivität und Effizienz wird erreicht). Eine direkte Förderung der Athletinnen über ein Spitzensportgeld, Gutscheine und Stipendien an Universitäten kann eine sinnvolle Variante sein, damit die Athlet*innen über einen Teil der finanziellen Unterstützung selbst verfügen können.
Zum anderen eine Budgetierung der Fördergelder in den Verbänden.
In der Konsequenz obliegt es dann den Athlet*innen und Verbänden, über die Verteilung der ihnen zugeteilten Gelder zu entscheiden. Dies umfasst z.B. für die Verbände die Verwendung der finanziellen Mittel für Trainingslager, Trainerpersonal sowie internationale Wettkämpfe. Eine Erhöhung der Investitionen in eine Top-Bundestrainer*in wäre eine mögliche Konsequenz, doch ist zu beachten, dass ein Verband sowohl in die Spitze als auch in die Breite fördert. Der Verband entscheidet über die Verteilung der ihm zugeteilten Gelder und er kann dann im Anschluss anhand seiner Entscheidungen gemessen werden.
Ein weiteres Thema ist die Sicherheit während der Spiele aufgrund der weltweiten Konflikte, Kriegsherde und innenpolitischen Kämpfe. Es ist mit einer erhöhten Terrorgefahr zu rechnen. Besonders die Pariser Polizei scheint aktuell noch nicht ausreichend für Sportgroßveranstaltungen und den Umgang mit Fans und Zuschauern geschult zu sein; auch ist eine Militarisierung der Pariser Polizei zu befürchten. Während des Champions-League-Finales zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool im Stade de France im Mai 2022 kam es zu Gewalt und dem Einsatz von Tränengas durch die Bereitschaftspolizei (siehe Sportschau, 2022). Besonders das Vorgehen der Sicherheitskräfte wurde national als auch international scharf kritisiert. Die Behörden betonten, dass sich ein solches Ereignis nicht wiederholen werde.
Paris wird so während der Spiele zu einer Festung mit einer hohen Polizeipräsenz und umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen, einschließlich eines fragwürdigen Videoüberwachungssystems, das künstliche Intelligenz einsetzt. Organisationen wie Amnesty International haben diese Überwachungsmethoden als Massenspionage verurteilt (vgl. Schneider, 2024).
Um die Sicherheit der Olympischen Spiele in Paris zu gewährleisten, hat Frankreich im Januar 2024 2.185 Polizisten von 46 internationalen Verbündeten angefordert. Nach Angaben des Innenministeriums bezog sich die Bitte um ausländische Unterstützung auf die Bewältigung der Herausforderungen, die mit den Spielen verbunden sind, sowie auf die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit (vgl. Agence France Presse, Le Monde, 2024). Parallel dazu kündigte Deutschland im März 2024 an, eine unbestimmte Anzahl von Polizisten für die Olympischen Spiele nach Frankreich zu entsenden. Im Gegenzug sind französische Kräfte im Juni und Juli 2024 zur Unterstützung der Fußball-Europameisterschaft nach Deutschland gekommen (vgl. Neuerer, 2024). Während der Olympischen Spiele werden insgesamt 45.000 französische Polizisten und Gendarmen täglich im Einsatz sein, mit Unterstützung von zusätzlich 18.000 Soldaten. Dazu kommen weitere 18.000 bis 22.000 private Sicherheitskräfte (vgl. Agence France Presse, Le Monde, 2024). Die Stadt wird regelrecht abgeriegelt. In Anbetracht der Tatsache, dass alle französischen Polizeireserven und viele Soldaten in Paris im Einsatz sind, ist es schwierig, ein anderes wichtiges Ereignis als die Olympischen Spiele im Auge zu haben. Großveranstaltungen in ganz Frankreich wurden abgesagt. Die finanziellen Aufwendungen für den Polizeieinsatz sowie die militärischen Maßnahmen lassen sich gegenwärtig noch nicht abschätzen, werden jedoch mit Sicherheit einen hohen Millionenbetrag erreichen. Die Kosten für die Eröffnungsparade auf der Seine werden auf 120 bis 130 Millionen Euro geschätzt, was einer Verdreifachung gegenüber den Spielen in London entspricht (vgl. Holzer, 2024).
Die angespannte politische Lage und die Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt sind keine guten Voraussetzungen für friedliche Spiele. Eine Vielzahl von Medien berichtet wenige Tage vor Beginn der Olympischen Spiele über die angespannte Lage zu Sicherheitsbarrieren und Kontrollpunkten. Ganze Straßenzüge wurden mit Sicherheitszäunen abgesperrt und die Bevölkerung muss eine Vielzahl von Checkpoints durchlaufen, eine Situationsbeschreibung, die sich dem Ausrufen des Kriegsrechts nähert, auch durch die Militarisierung der Hauptstadt. Als Begründung wird die Angst vor einem Terroranschlag während der Olympischen Spiele angeführt. Dies zeigt, dass das Vertrauen in die grundlegenden Freiheiten weltweit einen signifikanten Wandel erfährt, mit Paris als Beispiel. Selbst die Feierlichkeiten im Rahmen der Eröffnungsfeier der sportlichen “Friedensspiele” sind von einer Atmosphäre der Angst geprägt.
Die Terroranschläge im Jahr 2015 markieren einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der französischen Hauptstadt. Sie waren der Auslöser für eine grundlegende Veränderung der Sicherheitsvorkehrungen in Paris. Zu den sichtbaren Zeichen dieser Transformation gehören die Mauern und Zäune, die rund um die bekanntesten Sehenswürdigkeiten errichtet wurden.
Infolge der Einstufung als Gefährder gemäß französischem Anti-Terror-Gesetz von 2017 sehen sich aktuell über 150 Personen mit einem Hausarrest für die Dauer von drei Monaten konfrontiert, der im Kontext der Olympischen Spiele verfügt wurde. Eine weitere Gruppe von Betroffenen ist verpflichtet, sich täglich zur gleichen Zeit auf einer Polizeistation zu melden. Dabei wurde offenbar nicht mit der gebotenen Sorgfalt sichergestellt, dass sämtliche Betroffenen hinreichend über die Gründe ihrer Listung informiert wurden (vgl. Ayad, 2024).
Eine Woche vor der Eröffnungsfeier wurden die gravierenden Einschränkungen für die Einwohner von Paris Realität, der Zugang zur Seine wurde zu allen Orten im Umkreis von 100 Metern untersagt. An stark frequentierten Verkehrswegen wurden Absperrungen installiert, welche die Bürgersteige von der Fahrbahn separieren. Lediglich Bewohner*innen und Mitarbeitender*innen sind berechtigt, das Gebiet zu betreten. Fußgänger benötigen eine Genehmigung, den sogenannten “Pass Jeux”. Die Erteilung dieser Genehmigung ist jedoch nicht garantiert. Ohne diesen „Pass Jeux“ oder eine Akkreditierung für die Spiele selbst ist der Zutritt nicht möglich. Hinzu kommen weitere tiefgreifende Maßnahmen im gesamten Stadtgebiet. Es wurde eine größere „rote“ Zone in Paris definiert, in der jeglicher Fahrzeugverkehr untersagt ist, sowie eine „blaue“ Zone, die für den Großteil der Verkehrsteilnehmer zugänglich ist. Inklusive der Périphérique, der Ringstraße um Paris, sind die meisten Autobahnen, welche Paris mit den Vororten verbinden, als „Paris 2024“-Routen für die Olympischen Offiziellen ausgewiesen. Da die Périphérique selbst im Sommer unter einem starken Verkehrsaufkommen leidet, werden die exklusiven Olympiaspuren dazu führen, dass eine Fahrspur für den regulären Individualverkehr verloren geht. Die Hoffnung der Organisatoren ist, statt der Nutzung des eigenen Fahrzeugs auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgegriffen wird. Doch auch für die Metro zeichnet sich für den Zeitraum der Olympischen Spiele eine Überlastung ab (siehe unten). Zudem sind mehrere wichtige Metrostationen aufgrund von Sicherheitsbedenken geschlossen.
Die Implementierung von Sicherheitsschleusen führt zu einer signifikanten Beeinträchtigung des Alltags der Pariser Bevölkerung. Selbst Besuche in Supermärkten und Apotheken werden zu einem gewagten Unterfangen. Die Möglichkeit, Essensbestellungen rund um die Seine aufzugeben, ist nicht länger gegeben, da die Fahrer der Lieferdienste oft an den Sicherheitskontrollpunkten abgewiesen werden, da ihnen die erforderliche Zugangsberechtigung fehlt. In der Konsequenz ist eine Zustellung nicht möglich.
Aus diesem Grund wird seitens der städtischen Behörden empfohlen, die Stadt zu verlassen oder zu Hause zu bleiben. Eine Militarisierung der Spiele birgt das Potenzial, eine Reihe von negativen Begleiterscheinungen zu generieren. Die implementierten Sicherheitsmaßnahmen resultieren in einer erhöhten Anspannung. Die Furcht vor terroristischen Anschlägen sowie die Einschränkung von Bürgerrechten, insbesondere der Bewegungsfreiheit, führen zu einer Erosion des olympischen Ideals, die Spiele für Frieden und Völkerverständigung zu nutzen. Diese Entwicklung hat nicht nur eine Zunahme autoritärer Tendenzen zur Folge, sondern eben auch eine Verringerung der Akzeptanz des olympischen Ideals. In diesem Kontext ist zu hinterfragen, ob die verstärkten Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen bei erfolgreichen Spielen womöglich auch im Anschluss zur Überwachung der Bevölkerung genutzt werden. Die Frage, ob Paris in ständiger „Kriegsbereitschaft“ verbleibt, wie dies der Staat Oceania in Orwells dystopischer Welt (1984) tut, ist durchaus berechtigt. Daher kommt es bereits während, aber auch nach den Spielen zu erheblichen sozialen und politischen Spannungen, die sich aufgrund der hohen ökonomischen Belastungen auch über die Spiele hinaus manifestieren. Kürzungen des Budgets in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und sozialen Diensten für Städte, die als Gastgeber fungieren, stellt eine fest etablierte olympische Tradition dar. Dies kann zu einem Verlust des Vertrauens in Behörden und Institutionen führen. In Anbetracht der gravierenden Einschränkungen stellt sich die Frage, ob ein Gigaevent dieser Größenordnung in einer dicht besiedelten Metropole wie Paris (vgl. Teil 1) für die ansässige Bevölkerung eine Legitimation und einen Mehrwert bietet.
Paris ist nicht nur wegen der Olympischen Spiele 2024 in den Schlagzeilen. Berichte über Ratten- und Taubenplagen scheinen aber der Stadt der Liebe nicht wirklich zu schaden, Paris mit seinem einzigartigen Charme ist weiterhin bei Touristen sehr beliebt. Zudem macht die Hauptstadt mit einer radikalen Verkehrswende in der Innenstadt von sich reden, der Radverkehr hat durch einschneidende Maßnahmen deutlich zugenommen. Nach der Corona-Pandemie erreichen die Besucherzahlen fast das Rekordniveau von 2019 (vgl. Statista, 2024). Und nun findet im Sommer 2024 das größte Sportereignis in der französischen Hauptstadt statt. Während der Spiele werden täglich 600.000 Besucher erwartet, was für Paris eine hohe Belastung bedeutet, da die Fläche der Innenstadt sehr begrenzt ist und die Menschen auf engem Raum zusammenkommen (London z.B. ist flächenmäßig 15-mal größer als Paris) (vgl. Wüpper, 2014).
Dies hat nicht nur große Auswirkungen auf die Bewohner der Hauptstadt, sondern auch auf die Infrastruktur. Paris bereitet sich intensiv auf die Olympischen Spiele vor, mit Abkehr von üblichen Traditionen. Zum ersten Mal werden bei den Olympischen Spielen gleich viele Frauen und Männer teilnehmen – ein Meilenstein (jedoch nur auf den Spielfeldern). Die Eröffnungsfeier findet nicht in einem Stadion statt, sondern am Ufer der berühmten Seine. Etwa 10.000 Athlet*innen werden in 91 Booten zu einer sechs Kilometer langen Parade auf dem Wasser starten, umso dem Fluss in Paris eine Hauptrolle zuzuschreiben (vgl. Borutta, 2023). Paris hat Vorbereitungen getroffen, damit möglichst viele Menschen an der Eröffnungsfeier teilnehmen können, ein positiver Schritt, um die Inklusivität der Spiele zu erhöhen. Die Bemühungen von Präsident Emmanuel Macron, die Veranstaltung zu einem Volksfest zu machen, werden jedoch durch den hohen Preis der Eintrittskarten und zunehmenden (erheblicher) Sicherheitsbedenken behindert (siehe unten). Die Karten für die Eröffnungsfeier kosten zwischen 90 und 2.700 Euro und für die meisten Aktivitäten werden Hunderte von Euro verlangt. Dies könnte für die Franzosen ein legitimer Grund sein, ihre Unzufriedenheit zu äußern (vgl. Urvoy, 2024). Gleichzeitig erleichtern die neuen Strukturen der Eröffnungsfeier jegliche Art von Protest.
Wie kam es zu dem nun geplanten Vorgehen? Die Seine fließt auf einer Länge von etwa 13 Kilometern durch das Herz der französischen Hauptstadt und hat 37 Brücken. Das Schwimmen in der Seine ist seit Jahrzehnten (1923) verboten, da sie stark verunreinigt ist. Im Jahr 2017 erhielt Paris den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Spiele. Daraufhin startete die Stadt eine Initiative, um die Seine zu reinigen und für Freizeitaktivitäten und Wettkämpfe während der Spiele nutzbar zu machen. Es erinnert an die ersten Olympischen Spiele 1900, als die Athleten auch in der Seine schwammen (vgl. Belz, 2023) und ist eine Parallele zu den Versprechen in Rio und der Guanabara Bay. Bis 2024 planen sowohl Emmanuel Macron als auch Bürgermeisterin Anne Hidalgo selbst in der Seine zu schwimmen. Stadt und Land investieren eine Milliardensumme in die Verwirklichung dieses Vorhabens. Auch Jacques Chirac als damaliger Bürgermeister von Paris, versprach 1993 innerhalb von drei Jahren in der Seine zu schwimmen. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die Säuberung des Flusses Jahrzehnte dauern würde. Chirac löste sein Versprechen nie ein (vgl. Tagesspiegel, 2023; FAZ / SID, 2024). Im Juli 2024 unternahm Bürgermeisterin Hidalgo einen öffentlichkeitswirksamen Badeausflug in die Seine, wobei sich die meteorologischen Voraussetzungen als günstig erwiesen. Die Seine kann bei günstiger Witterung grundsätzlich als Badestelle genutzt werden. Vor dem Hintergrund von Starkregenereignissen kann ein potenziell erhöhtes Gesundheitsrisiko (durch Kolibakterien) jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Insofern besitzt der Badeausflug der Bürgermeisterin lediglich eine begrenzte Aussagekraft.
Das Hauptproblem ist die verbesserungsbedürftige Abwasserinfrastruktur der Stadt, die täglich rund 6,5 Millionen Kubikmeter Abwasser produziert. Das entspricht ca. 75 olympischen Schwimmbecken pro Stunde. Die Sanierung dieses Systems ist ein großes Unterfangen.
Im 19. Jahrhundert wurde das Abwasser in Paris gesammelt und auf den Feldern der Bauern als Dünger entsorgt. Jede Wohnung hatte einen unterirdischen Sammelbehälter für Fäkalien, die zu organischem Dünger verarbeitet und auf den Feldern ausgebracht wurden. Der Anstieg der zu entsorgenden Abfallmengen resultierte aus der zunehmenden Verbreitung von Pferden auf den Straßen der Stadt. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde eine unterirdische Kanalisation gebaut, um die Abwässer der öffentlichen Straßen und Wohngebäude zu entsorgen. Die Mischwasserkanalisation ersetzte die frühere Methode, bei der alle Abwässer in einem Kanal gesammelt wurden (vgl. Gottschalk, 2004, 2-4).
Um dem Abwasserproblem weiter entgegenzuwirken, wurde die Kläranlage Acheres gebaut. Diese ist heute die größte europäische und nach Chicago die zweitgrößte der Welt (vgl. Gottschalk, 2004, 5; Structurae, 2024).
Mit der Entwicklung eines neuen Konzepts wurde auch aufgrund der steigenden Bevölkerung in der Metropole eine neue Aufbereitungsanlage geschaffen. Doch auch dieses Pariser System hat große Mängel. Bei Starkregen ist die Kläranlage den Wassermassen nicht gewachsen, da sie nicht genügend Wasser aufnehmen kann. Wenn alle Kanäle voll sind, fließt das Abwasser in die Seine.
Der aktuelle Plan der Stadt sieht vor, Niederschläge durch den Einsatz von Rückhaltebecken aufzufangen. Diese können ein Volumen von 50.000 Kubikmetern aufnehmen und stellen somit eine Speicherkapazität von ca. 20 olympischen Schwimmbecken bereit (vgl. Rau, Casjens, 2024). Es kann jedoch vorkommen, dass auch diese Becken nicht alle Niederschläge aufnehmen können und daher überlaufen. Gelegentlich ist die Seine so verschmutzt, dass sie für sportliche Aktivitäten oder zum Schwimmen ungeeignet ist. Im Sommer 2023 wurden aufgrund starker Regenfälle in Paris einige olympische Testveranstaltungen abgesagt (vgl. Süddeutsche Zeitung, 2023). Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Stadt Paris das Problem vor den Olympischen Spielen in Gänze wird lösen können, auch wenn dies durch den Badeausflug von Hidalgo suggeriert werden soll. Dies ist besorgniserregend, da olympische Wettkämpfe wie der Schwimmmarathon, die Schwimmetappe des Triathlons sowie der Paratriathlon in der Seine vorgesehen sind. Ist die Gesundheit der Athlet*innen gefährdet?
Hier findet ihr Stimmen aus Presse & Blogs über der ball lügt nicht:
Politischer Protest bei Olympia – Athletenrechte / Süddeutsche Zeitung
„Mittlerweile weiß jeder, dass sich Sport und Politik immer vermischen. Aber das IOC will immer nur dann politisch sein, wenn es in die eigene Agenda passt“, sagt Bendrich. Das IOC habe zum Beispiel 2018 das gemeinsame Eishockeyteam der Frauen aus Nord-und Südkorea unterstützt. Auch die Vergabe der Spiele in Staaten, die nicht für die Einhaltung von Menschenrechten bekannt sind und Olympia nur zu Werbezwecken nutzen, zeugt nicht von einer Trennung von Sport und Politik.“
Aktivismus – Warum die Athleten nicht mehr schweigen – Athletenrechte – WDR Sport inside
„Immer mehr Sportlerinnen und Sportler werden laut, knien sich hin oder heben die Faust. Das Mantra vom unpolitischen Sport gilt nicht mehr. Nora Hespers spricht mit Benjamin Bendrich.“
„An vielen Colleges in den USA wird Sport praktisch auf Profi-Niveau betrieben. Die Studierenden bekommen dafür keine Bezahlung. Jetzt dürfen sie aber ihre Bildrechte vermarkten.
Im US-College-Football hat gerade die neue Saison begonnen. Die College-Ligen sind eigentlich Amateur-Veranstaltungen. Trotzdem schaffen sie zum Beispiel in Austin, Texas, das Stadion vollzumachen – mit über 100.000 Zuschauerinnen und Zuschauern.
Ben Bendrich, Autor, Blogger und Sportwissenschaftler hat Spiele an der University of Texas besucht uns sagt: „Es war immer voll. Gerade in Texas ist das wie eine Religion.““
wir haben brot, wir haben spiele – Akademie der Künste / IDZ
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Veranstaltungsort: Plenarsaal der Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin
Diskusion mit Prof. Fritz Frenkler, Prof. Karsten Henze, Karsten de Riese, Dr. Benjamin Bendrich, Dajana Eitberger, Dr. Tobias Hoffmann, Uwe Ritzer. Moderation: Okka Gundel
Am 26. August 2022, auf den Tag genau fünfzig Jahre nach der Eröffnung der Spiele in München, lud das IDZ zu einem Vortrag mit anschließender Podiumsdiskussion in die Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz ein.
Im deutschen Sport ist Missbrauch und sexualisierte Gewalt in der Öffentlichkeit eine Randerscheinung. Aktuell kommen jedoch immer neue besorgniserregende Details in verschiedenen Sportarten ans Licht. Ein über den gesamten Sport gewachsenes Missbrauchssystem, erstarkt durch die eigenen Organisationsstrukturen und die bisher zugesicherte Autonomie, bestätigt ein flächendeckendes Problem. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Safe Sport Studie der Sporthochschule Köln aus dem Jahr 2016 (siehe hier), und dies wird aktuell untermauert durch Fälle bei den Turnerinnen (psychische Gewalt, mentale Misshandlung), Boxerinnen (sexueller Missbrauch, mutmaßliche Vergewaltigung) und Segler*innen (Jugendliche, über mehrere Jahrzehnte sexuelle Gewalt). Die nun bekannten Fälle sind lediglich die Spitze des Eisberges. Der Spitzensport und auch Breitensport sind durchseucht von sexualisierter, psychischer und körperlicher Gewalt. Doch wie konnte es dazu kommen? Wer ist dafür verantwortlich?
Missbrauch und sexuelle Gewalt können sich ausbreiten, wenn Institutionen (Verbände und Vereine) mit unzureichenden Präventionsstrukturen ausgestattet sind und die Athlet*innen am unteren Ende der Talentpyramide nur wenige Ressourcen haben, leicht austauschbar sind oder in das vorzeitige Karriereende geschickt werden können. Noch extremer ist das Ergebnis, wenn die Systemstrukturen sexualisiert sind und von Männern dominiert werden. Deutsche Universitäten, die Bundeswehr, die katholische Kirche und der Sport sind beste Beispiele, oft ausschließlich von Männern in den oberen Positionen beherrscht.
Ein “unsichtbares” System der Belästigung und des Missbrauchs wie im deutschen Spitzensport ist nur umsetzbar durch die stille Komplizenschaft vieler.