Das Potentialanalysesystem PotAS und die Folgen/ Fragen – Frust über das System Sportdeutschland (Teil 4)

Der neue zentrale Begriff der Leistungssportreform 2016 ist die „potenzialorientierte Förderstruktur“. Das neue „Perspektivische Berechnungsmodell“ wird das alte System der Grund- und Projektförderung ersetzen. Dabei soll die bis heute unbekannte Bewertungskommission Ergebnisse liefern, die die Einordnung und schlussendlich die Förderung der unterschiedlichen Disziplinen (nicht ausschließlich Sportarten) erleichtern soll. Die Kommission erhält das neu einzuführende Potenzialanalysesystem („PotAS“), das unter Einbeziehung von 20 Attributen eine erste Einstufung der Sportarten vornimmt.

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Das Potentialanalysesystem („PotAS“) (vgl. Kempe, 2016)

Diese 20 Attribute (einige sind unten bereits zu finden) und ca. 60 Unterattribute sollen die Bewertungskommission unterstützen, Empfehlungen für die Sportdisziplinen abzugeben (vgl. Kempe, 2016).

Potenzialanalysesystem („PotAS“)
20 Attribute zur Einordnung von Disziplinen
a)    Finalplätze b)    Leistungspotential
c)    Reproduzierbarkeit der Medaillen d)    Management des Leistungssportpersonals
e)    Entwicklungspotential f)     Richtlinienkompetenz
g)    Moderne Führungsstruktur h)    Vertretungsarbeit
i)      Wissenschaftsmanagement j)      Konstanz / Reproduzierbarkeit
k)     Rahmentrainingskonzeption l)      Aus-, Fort- und Weiterbildung
m)   Aktuelle Olympische Spiele n)    Finalplätze bei den Olympischen Spielen
o)    Wissensmanagement p)    Gesundheitsmanagement
q)    Management des Leistungssportpersonals r)     Nachwuchs
s)    Duale Karriere

Nach diesen Attributen werden einzelne Sportarten oder vielmehr einzelne Disziplinen bewertet, von null bis zehn Punkten. So ergibt sich das jeweilige Cluster, das weitreichende Folgen für die Zukunft einer Sportart haben kann. Letztendlich sollen die einzelnen Disziplinen in die folgenden Cluster eingeteilt werden:

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Cluster 1-3 der potentialorientierten Förderstruktur (2016)

Einige wenige Attribute sind sinnvoll gewählt und für die Zukunft des Leistungssports in Deutschland wichtig. Dass sie nun zum Teil zum ersten Mal konkret benannt werden und als eine der wichtigsten 20 Attribute aufgelistet werden, ist ein richtiger Schritt und positiv zu bewerten. Jedoch stellt sich die Frage, wie ein Großteil der Attribute durch die Kommission bewertet werden sollen und mit anderen vergleichbar sind. Zum einen werden Verbände bei harter Auslegung in einigen Bereichen die Bewertung Null zu befürchten haben (wäre die strikte Handhabung des neuen Fördervorgaben), da sie gewisse Leistungen noch nicht aufweisen können; zum anderen sind einige Attribute auch durch Experten schwer zu bewerten, wobei auch das Potentialanalyseprogramm PotAS begrenzt Abhilfe und Transparenz schaffen kann. Wie z.B. soll die Software das Potenzial oder die Entwicklung eines Sportlers voraussagen? Können die Attribute alle in den gleichen Abstufungen, also von 1 bis 10, realistisch bewertet werden? Attribute wie Finalplätze oder Konstanz können zwar durch Zahlen belegt werden, würden aber nur an vergangenen Leistungen gemessen werden. Wie mögliche Potentiale realistisch vorausgesagt werden und von wem, bleibt unklar. Die Fachverbände werden immer im eigenem Interesse handeln, was auch legitim ist und zu ihren Aufgaben gehört und aus den letzten Zielvereinbarungen bereits bekannt ist. Viele Attribute sind schwer zu bewerten und bedürfen einer genauen, detailreichen Prüfung, wenn dies fair gegenüber allen Beteiligten (Verbänden/ Disziplinen/ Sportlern) ablaufen soll. Wer soll diese umfangreichen Prüfungen übernehmen? Wo kommen die personellen Voraussetzungen dafür her? Diese Prüfungen mit den aktuellen personellen Besetzungen durchzuführen, scheint utopisch.

Es bleibt offen, wie die einzelnen Spitzenverbände diese neu geforderten Verbesserungen auf Verbandsebene umsetzen sollen. In vielen Bereichen wie der Professionalisierung von Verbänden und der Betreuung von Athleten, bedeutet dies eine Aufstockung von hauptamtlichem Personal. Zudem werden die Verbände zu Veränderungen gezwungen, ohne dass bekannt ist ob tatsächlich eine intrinsische Motivation vorliegt. Wie diese umfangreichen Aufstockungen finanziert werden sollen, bleibt weiterhin offen. Forderungen im Konzept sind richtig und sinnvoll. Besonders die Betreuung der Athleten und die Förderung der dualen Karriere muss endlich auch in den Verbänden initiiert werden, da dies in den letzten Jahren vernachlässig bzw. ignoriert wurde. Nur eine deutliche personelle Aufstockung durch Experten in diesem Bereich kann eine Lösung herbeiführen, die wiederrum auch vom Fördertopf des Bundes mitfinanziert und angeschoben werden muss.

Schlussendlich stellt sich für den gesamten Bereich die Frage, wie garantiert werden kann, dass Bewertungsentscheidungen tatsächlich unabhängig ablaufen. Viele der in der Kommission sitzenden Experten werden aus dem Hause des DOSB stammen oder haben durch ihre unterschiedlichen Positionen/ Institutionen auch immer wieder Eigeninteressen bzw. die Interessen ihrer Sportart/ ihres Verbandes. Die Fragen verdeutlichen, wie komplex die Sachlage ist und viele dieser Fragen können bis zur Veröffentlichung des gesamten Konzeptes nicht im Detail beantwortet werden.

Die Besetzung der Bewertungskommission und die anschließenden Strukturgespräche machen eine unabhängige, transparente Entscheidung durch die aktuellen Gegebenheiten schwierig, nahezu unmöglich. Die aktuellen 20 Attribute verdeutlichen zudem, dass der einzelne Athlet, anders als vom Eckpunktepapier propagiert, auch zukünftig nicht in den Fokus der Sportförderung rücken wird (siehe dazu Teil 5->nächste Woche). Zudem scheinen wichtige Attribute zu fehlen (Themen: Doping, Korruption, Verbandsführung, Transparenz uvm.). Auch das Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz einer Sportart wird in dem Konzept weiterhin nicht erwähnt, sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, da man ansonsten Sportarten schwächt die möglicherweise tief in der deutschen Gesellschaft verankert sind.

Themen des 5.Teils: Nachwuchsförderung, Der Athlet im Fokus der Förderung ->folgt nächste Woche

Teil 1: Themen=Ausbeute bei Olympia, die Athleten, das Strategiepapier, Die neuen Cluster 1-3, Kampf hinter den Kulissen. Link: https://derballluegtnicht.com/2016/08/23/frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-1/

Teil 2:Themen: Vorraussichtliche Fördersummen 2017,Leistungssportreform – Was bis heute bekannt ist, Die duale Karriere und der DOSB/ adh. Link: https://derballluegtnicht.com/2016/09/25/frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-2/

Teil 3: Themen= die Dokumente zur Leistungssportreform, Die duale Karriere und das Eckpunktepapier des DOSB, Die Aufgabe der Laufbahnberater, Bildung und Spitzensport – Der studentische Spitzensport, Die Profilquote – Die Vor- und Nachteile, Förderung durch die Bundeswehr. Link: https://derballluegtnicht.com/2016/09/30/frust-ueber-das-system-sportdeutschland-teil-3-das-eckpunktepapier/

Links:

Kempe, R.(2016): Nichts außer Medaillen, Sendung: sport inside, wdr, Link: http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/sport-inside/video-nichts-ausser-medaillen-100.html

Weinreich, J. (2016): Eckpunktepapier zur Neustrukturierung des deutschen Hochleistungssports und der Spitzensportförderung. URL: https://www.jensweinreich.de/2016/09/27/eckpunktepapier-zur-neustrukturierung-des-deutschen-hochleistungssports-und-der-spitzensportfoerderung/

Weinreich, J.(2016):Entwurf Attributsystem PotAS, Link: https://de.scribd.com/document/326766636/Entwurf-Attributsystem-PotAS#from_embed (Update am 10.10.2016)

Autor: derballluegtnicht

Writes about the politics of sports. For him sports and politics always mix.

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