Reform mit Rückenwind: Echte Athletenbeteiligung als Grundlage für eine besondere Win-Win-Win-Situation (Politik, Verbände, Sportler*innen) im Spitzensport 

Es ist bedauerlich, dass im deutschen Spitzensport immer wieder die Problemfelder diskutiert werden, obwohl Lösungen offensichtlich sind. In diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt, ob eine Verbesserung der Situation der Athlet*innen in Deutschland tatsächlich das angestrebte Ziel ist oder ob das bestehende Abhängigkeitsverhältnis der Athlet*innen von sämtlichen weiteren Akteuren lediglich aufrechterhalten werden soll. Dabei wären signifikante Veränderungen möglich, insbesondere unter der Prämisse der Einschränkung der Machtverhältnisse von Politik und Verbänden gegenüber den Athlet*innen.

Der neue Gesetzesentwurf der Staatsministerin Schenderlein ist Gegenstand intensiver Diskussionen. Der organisierte Sport zeigt sich besorgt darüber, dass dieser Prozess ohne umfassende Konsultationen mit dem DOSB initiiert wurde. Der DOSB kritisiert, dass die Garantie der Finanzierung durch das neue Gesetz ebenso wie die Passage zur Autonomie des Sports nicht mehr vorkommen. Doch sind das die gravierendsten Defizite des neuen Entwurfes? Vielmehr wird im neuen Entwurf die Rolle der Athlet*innen abermals falsch eingeordnet. Auch in der aktuellen Fassung des Entwurfes sind die Athlet*innen hinsichtlich Strukturreformen überwiegend beratend und marginal eingeordnet, obwohl sie es sind, die täglich erhebliche Kraft und Ausdauer in den Sport investieren und letztlich die Erfolge erzielen, um die es konkret geht. Ohne die Athlet*innen, auch als impulsgebendes Element, fehlt es dem neuen Fördersystem mit einer neu gegründeten „Sportagentur“ an demokratischer Legitimation.

Die aktuelle Konzeption formuliert den Anspruch, Deutschland als innovative und moderne Sportnation zu positionieren – eine große Herausforderung. Erfreulich ist, dass der Entwurf die individuelle Förderung von Athlet*innen vorsieht. Die Implementierung dieser Maßnahmen wird dazu beitragen, die Erfolgschancen deutscher Athlet*innen signifikant zu erhöhen und ihre Strukturen zu optimieren. Diese Veränderung ist ausdrücklich zu begrüßen. Gleichzeitig wird den Kompetenzen und der Expertise der Athlet*innen in den Entscheidungs- und Beratungsgremien weiterhin eine untergeordnete Bedeutung zugewiesen. Zwar wird der Verein Athleten Deutschland im Beratungsgremium der Stiftung mit einem Sitz vertreten sein, doch das ist wie schon in vielen Gremien zuvor, lediglich eine Stimme innerhalb eines zwanzigköpfigen Beratungsgremiums. Dies trägt nicht dazu bei, tatsächlich gestalterisch aktiv sein zu können.

Ein wesentlicher Kritikpunkt am Gesetzesentwurf ist die mangelnde Vertretung von Athlet*innen im Stiftungsrat. Damit haben sich die Einflussmöglichkeiten der Athlet*innen in der neu zu gründenden Sportagentur nicht verbessert. Athlet*innen sind weiterhin primär passive Rezipient*innen traditioneller Strukturen und Normen. Die Reduktion auf das „empfangende Organ“ vernachlässigt die Tatsache, dass Athlet*innen über eine ausgeprägte Gestaltungsfähigkeit verfügen. Dieses Desinteresse an den Athlet*innen ist überraschend, wenn man sich vor Augen führt, welche Veränderungen allein durch eine größere Einbindung der Athlet*innen möglich wären. Untersuchungen belegen, dass Athletenvertreter*innen, sofern sie in institutionelle Strukturen integriert sind und über erforderliche Ressourcen verfügen, effektiv agieren können. Durch solche Strukturen haben sie einen positiven Einfluss auf die Governance-Strukturen des Spitzensports und verringern Risiken wie Missbrauch im Sport (sexualisierte Gewalt, Missbrauch, Doping und gesundheitliche Vernachlässigung). Beispiele belegen, dass Systeme, in denen Athlet*innen effektiv involviert sind, zu nachhaltigen und fairen Entscheidungen tendieren. Die Partizipation der Aktiven trägt nicht nur zur Senkung der Missbrauchsrisiken bei, sondern stärkt auch die Legitimation der Förderpolitik. In Kanada, Großbritannien, Norwegen und Australien wurden die umfangreichen Potenziale von Athlet*innenvertretungen erkannt, mit entsprechender Stimmberechtigung in Spitzensportgremien. Eine derartige Entwicklung in Deutschland würde demnach eine Win-Win-Win-Situation für Politik, Verbände und Athlet*innen schaffen.

Doch in Deutschland bleibt ihre Beteiligung auf symbolischer Ebene begrenzt. Der deutsche Gesetzesentwurf sieht, bis auf den größeren Einfluss des Bundes, keine signifikanten Veränderungen im Hinblick auf die bestehenden Strukturen vor, sondern ist eher als eine Fortsetzung des Status quo in neuen Gewändern zu verstehen. Dies könnte zu einer Zunahme von Intransparenz, Vertrauensverlust und geringer Akzeptanz der Mitwirkung im deutschen Sportfördersystem führen. Dabei zeigte die Athlet*innenvertretung Athleten Deutschland in den vergangenen Jahren mit einer Vielzahl von Positionspapieren Vorschläge zur Reformierung der Sportförderstrukturen, dass es auch anders gehen könnte. Eine mit Ressourcen ausgestattete Athlet*innenvertretung kann einen positiven Einfluss auf die Debatten haben. Der konkrete Einfluss der Vereinigung auf politische Entscheidungen fällt nach wie vor zu gering aus. Gute Ideen werden demnach zwar in Positionspapieren konkretisiert, jedoch gelangen sie nur in seltenen Fällen in die Entscheidungsgremien, obwohl sie sich durch eine hohe inhaltliche Qualität und einen umfassenden Ansatz auszeichnen. Zudem wird seitens der Politik und des organisierten Sports außer Acht gelassen, dass Athletinnen mit den spezifischen Problemen der dualen Karriere vertraut sind, die Defizite der Förderstrukturen identifizieren, selbstkritisch sind, ihre Aktivitäten reflektieren und willens sind, Reformvorschläge zu erarbeiten. Es ist bedauerlich, dass das inhärente Potenzial für den deutschen Sport durch den neuen Gesetzesentwurf nicht genutzt werden soll. Die Implementierung solcher Veränderungen würde eine nachhaltige Transformation der Governance-Strukturen zur Folge haben. Die Effektivität und das Umsetzen von Reformen und Strukturverbesserungen hängen in hohem Maße von der Partizipation der Athlet*innen in relevanten Gremien ab. Eine Steigerung der Teilhabe ist daher von größter Bedeutung, um ein Fördersystem zu etablieren, das sich durch besondere Effektivität und Athlet*innenfreundlichkeit auszeichnet und in dieser Form bislang noch nicht realisiert wurde. Eine höhere Partizipation der Athlet*innen in Entscheidungsgremien (Sitz im Stiftungsrat und Vorstand, Erhöhung der Anzahl der Sitze im Sportfachbeirat, siehe unten) führt auch zu einer gesteigerten Transparenz (z. B. Kritik der Mittelvergabe durch den Bundesrechnungshof). Die Entscheidungsträger*innen sitzen in diesen Gremien und sind folglich den Förderempfänger*innen gegenüber rechenschaftspflichtig. Wer kann da etwas dagegen haben?

Nach zehn Jahren der Diskussionen sollten endlich Strukturen im Sinne der Athlet*innen geschaffen werden, die die Effektivität signifikant steigern. Im Folgenden sind einige konkrete Vorschläge für die neu zu schaffende Spitzensportagentur und ihre Struktur formuliert.

1. Einfügung in § 20 (Stiftungsrat) — direktes Sitzrecht
§ 20 Absatz 1 ergänzen um folgenden neuen Satz / Nummer:

„(…) 4. Ein Mitglied wird direkt von den aktiven Bundeskaderathlet*innen für die Dauer von vier Jahren gewählt. Dieses Mitglied ist stimmberechtigt und vertritt insbesondere die Belange der Athlet*innen in Aufsichts- und Personalfragen.

Kurzbegründung:

Der Stiftungsrat trifft oberste Entscheidungen (Haushalt, Bestellung des Vorstands, Satzungsfragen). Ein direkt gewähltes, stimmberechtigtes Athlet*innenmitglied schafft echte Aufsichtsbeteiligung statt reiner Beratung.

Direkte Vertretung der Athlet*innen sichert, dass ihre Interessen und Bedarfe in strategischen Entscheidungen (z. B. Budgetverteilung, Förderkriterien) auf höchster Ebene gehört und berücksichtigt werden.

Demokratische Legitimation durch Wahl der Kaderathlet*innen

Erhöht die Akzeptanz der Spitzensport-Agentur.

Internationale Vorbilder: UK Sport und das Australian Institute of Sport binden Athlet*innen in ihre Gremien ein.

Ergänzung/ Veränderung in § 21 Abs. 4 (Vorstand) wird ergänzt um Folgendes:

Der Vorstand besteht aus drei Mitgliedern (nicht mehr zwei Mitgliedern), von denen ein Mitglied auf Vorschlag von Athleten Deutschland e.V. (oder aller Kaderathlet*innen) bestellt wird und über besondere Expertise im Bereich der Athlet*innenförderung verfügt.

Kurzbegründung:

Fachliche Expertise im Vorstand sichert, dass Athlet*innenperspektiven bei Förderentscheidungen direkt einfließen.

Vermeidung von Interessenskonflikten: Das Mitglied sollte keine Verbandsfunktion innehaben, um unabhängige Entscheidungen zu gewährleisten.

Änderung in § 22 (Sportfachbeirat) – Quantität + Wahl
§ 22 Absatz 2 ersetzen / ergänzen:

Der Sportfachbeirat besteht aus 24 Mitgliedern. Die folgenden Organisationen haben ein Entsendungsrecht: … Zudem werden vier Sitze für Athlet*innen reserviert. Mindestens zwei dieser Sitze sind durch aktuell aktive Bundeskaderathlet*innen unmittelbar zu wählen; die übrigen zwei Sitze werden über den Verein Athleten Deutschland entsandt. Der oder die stellvertretende Vorsitzende des Sportfachbeirats soll aus den Athlet*innenmitgliedern stammen.

Kurzbegründung:

Wenn mehr Athlet*innen als Gruppe sichtbar sind, können sie stärker mitbestimmen, worüber gesprochen wird, und es verhindert, dass sie nur als Symbolfigur eingesetzt werden (siehe dazu auch Kihl et al, 2025).

Ergänzungen in § 21 Absatz 2 – Bindender Umgang mit Konsultationsergebnissen (Veto- oder Reviewrecht)

Die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens mit dem Sportfachbeirat sind zu dokumentieren und öffentlich zugänglich zu machen. Weicht der Vorstand/Stiftungsrat von einer Empfehlung ab, hat er dies schriftlich und inhaltlich zu begründen. Lehnen drei Viertel der Athlet*innenmitglieder des Sportfachbeirats einen Vorschlag ab (greift der Veto bzw. Review-Mechanismus, siehe unten im Schaubild), so ist der Stiftungsrat verpflichtet, die Entscheidung mit Begründung erneut zu prüfen.

Kurzerläuterung:

So erhalten die Athlet*innen ein indirektes Veto- bzw. Reviewrecht. Dieses kann sogar noch verfeinert werden, indem man weitere Gremien (wie ein Athlet*innengremium) etabliert: Ein reines Athlet*innengremium könnte die Entscheidungen des Stiftungsrates verfolgen und Entscheidungen, die konkret die Athlet*innen betreffen, hinsichtlich ihrer Effektivität überprüfen und hat über die 4 Mitglieder im Sportfachbeirat (drei Viertel der Stimmen reichen für ein indirektes Veto bzw. Review, siehe unten im Schaubild) die Möglichkeit, die Vorschläge in das Gremium für eine Überarbeitung zurückzuschicken (siehe dazu auch Strengthening Athlete Power in Sport, 2023).

Ein solches indirektes Veto- bzw. Reviewrecht könnte alternativ aber auch im bereits bestehenden Sportfachbeirat etabliert werden – ohne ein Athlet*innengremium zu etablieren. Auch dort wäre die Dreiviertelregel anwendbar.

Neuer Absatz in § 14 oder § 22a zur finanziellen Absicherung der Athletenvertreter*innen
Die Spitzensport-Agentur stellt für die Funktionen der Athlet*innenvertretung und der Athlet*innenkommission angemessene finanzielle Mittel bereit; hierfür ist jährlich ein im Haushalt ausgewiesener Betrag bereitzustellen.

Kurzbegründung: Ohne Budget bleiben Athlet*innenbeteiligungsrechte in der Praxis wirkungslos.

Die obigen Vorschläge hätten zusätzlich noch weitere positive Effekte wie eine höhere Förderakzeptanz und Motivation, mehr Eigenverantwortung aufseiten der Aktiven sowie eine verbesserte Kommunikation zwischen Athlet*innen und den einzelnen Institutionen.

Wenn Deutschland über alle Parteien an einem großen Spitzensportwurf interessiert ist, kann nur eine größere Athlet*innenbeteiligung in allen entscheidenden Gremien das Ziel sein. Echtes Mitspracherecht, verankert in Gesetzen, ist das einzige Mittel, um über eine symbolische Beteiligung hinauszugehen.

Olympische Spiele in Hamburg?

Vor knapp drei Wochen hatte ich die Gelegenheit, im Hamburger Abendblatt einen Kommentar zu den möglichen Olympischen Spielen in Hamburg zu schreiben. Aus sportsoziologischer Perspektive zeigt sich ein ambivalentes Bild: Solche Mega-Events bergen zweifellos Potenziale/ Trends– aber ebenso erhebliche umfangreiche Risiken und Herausforderungen für die austragende Stadt und ihre Bevölkerung. Für mich überwiegen leider die negativen Konsequenzen.

Für lokale Athletinnen und Athleten könnte eine Heim-Olympiade eine herausragende Möglichkeit sein, ihre Leistungen im eigenen sozialen Umfeld sichtbar zu machen. Die Chance, auf internationaler Bühne im eigenen Land aufzutreten, ist eine Form symbolischer Anerkennung, die nicht nur das individuelle Selbstwertgefühl stärkt, sondern auch Identifikation und gesellschaftliche Wertschätzung für den Leistungssport befördert. Diese Erfahrung wünsche ich jedem einzelnen, hart arbeitenden deutschen Athleten und jeder Athletin.

Gleichzeitig ist es wichtig, die oft übersehenen, aber umfangreichen Begleiterscheinungen solcher Großveranstaltungen offen zu benennen: die infrastrukturellen Belastungen, die hohe Belastungen für den städtischen Haushalt/ Staatshaushalt, mögliche soziale Verdrängungsprozesse (lokale Unternehmen/ Bewohner), Gentrifizierungseffekte sowie die Gefahr, dass die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung im Schatten globaler Eventlogiken marginalisiert werden.

Umso mehr freue ich mich darauf, heute Abend im Hamburger Rathaus gemeinsam mit weiteren Interessierten über diese Fragen weiterzudiskutieren:
Wie lassen sich Großveranstaltungen wie die Olympischen Spiele so gestalten, dass sie sozial verträglich, nachhaltig und tatsächlich gemeinwohlorientiert sind? Ist das überhaupt noch möglich? Was wären die Optionen?

Spitzensport in der Sackgasse – fragwürdige Prioritäten der AG Sport

Die ersten Ausführungen der AG Sport zu den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD zum Spitzensport müssen im Bereich der Spitzensportförderung als unzureichend und enttäuschend bezeichnet werden. Problematisch erscheint die starke Fokussierung auf die Sportfördergruppen von Bundeswehr, Polizei und Zoll. Zwar ist die Relevanz dieser Institutionen für die Karrieren einzelner Athletinnen und Athleten unbestritten und muss erhalten bleiben, die Priorisierung und der angekündigte Ausbau dieser Strukturen führt jedoch zu einer einseitigen Ressourcenverteilung, die alternative Förderansätze benachteiligt. Alle dualen Karrieren, welcher Art auch immer, sollten die gleiche Priorität genießen. 

Die Analyse der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass nur ein Teil der Spitzensportlerinnen und Spitzensportler an einer Förderung bei Bundeswehr/Polizei/Zoll interessiert ist. Ein Ausbau würde die strukturellen Ungleichheiten innerhalb des deutschen Spitzensports verstärken, zudem besteht die Gefahr der beruflichen (Laufbahn-)Abhängigkeit: Athletinnen und Athleten sehen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich frühzeitig an staatliche Laufbahnen zu binden, auch wenn diese nicht ihren individuellen Karriereplänen und Interessen entsprechen. Dies kann nicht Ziel eines modernen Förderkonzeptes sein. 

Ein weiteres Defizit innerhalb der bestehenden Förderstrukturen ist die unzureichende Berücksichtigung bildungsbezogener Aspekte wie der dualen Karriere (Ausbildung und Studium). Während die Sportfördergruppen finanzielle Stabilität bieten, fehlt es häufig an einer gleichwertigen Unterstützung akademischer Laufbahnen. Eine umfassende Spitzensportförderung muss über kurzfristige Erfolge hinausgehen und langfristige Perspektiven für die Athletinnen und Athleten schaffen (insbesondere im Bereich Bildung und Ausbildung). 

Warum studentischer Spitzensport? 

Studierende sind die erfolgreichste Gruppe im deutschen Spitzensport: Bei Olympischen Spielen stellen sie den größten Anteil an Medaillengewinnern, wobei die Erfolge seit Jahrzehnten kontinuierlich steigen. Sie gelten daher als besonders förderungswürdig. 

Durch die grundsätzliche Vereinbarkeit von Spitzensport und Studium können die Hochschulen flexible Strukturen bieten – wie Teilzeitstudiengänge, individuelle Prüfungsanpassungen und Hybridstudiengänge – optimale Grundvoraussetzungen, um sportliche und akademische Entwicklung zu verbinden. Dieses Potenzial bleibt in Deutschland jedoch weitgehend ungenutzt. Zudem fehlen staatliche Anreize, um strukturelle Veränderungen in diesem Bereich voranzutreiben. Für Sportlerinnen seit Jahren eine herbe Enttäuschung. 

Eine verstärkte akademische Förderung eröffnet langfristige Karriereperspektiven über den Sport hinaus. Eine akademische Laufbahn reduziert die Abhängigkeit von staatlichen Sozial- und Unterstützungsleistungen nach der Sportkarriere. Länder wie die USA zeigen mit ihren College-Sportprogrammen, dass Spitzensportförderung und akademische Exzellenz keine Gegensätze sein müssen, sondern einander befruchten können, wenn die parallele akademische Ausbildung sinnvoll und seriös gestaltet wird. 

Was muss passieren? 

Vor diesem Hintergrund ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der Spitzensportförderung notwendig. Statt verstärkt auf traditionelle staatliche Institutionen wie Bundeswehr, Polizei und Zoll zu setzen, sollte die Förderung intensiver auf die universitäre und zivilgesellschaftliche Ebene ausgeweitet werden. Innovative Ideen, so auch Insellösungen für Talente z.B. in Kleinstädten verdienen Probe.- und Evaluierungsphasen. Mutige, kreative Vorgehensweisen wie sie unter anderem auch Athleten Deutschland in den vergangenen Jahren mit vielen Ideen (auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend) geliefert hat, können eine Grundlage bilden. 

Konkret heißt dies für den deutschen Spitzensport: 

  1. eine wesentlich stärkere Beteiligung der Athlet*innen an Ausgestaltungen der Förderstrukturen, 
  1. ein „outside the box“- Denken auf neuem Niveau, 
  1. die Erprobung unterschiedlicher Fördermodelle und vor allem deren Evaluierung (das Defizit an belastbaren Daten zum deutschen Fördersystem ist gravierend),  
  1. die Etablierung einer leistungsfähigen universitären Sportförderung, die international konkurrenzfähige Bedingungen schafft, 
  1. die Entwicklung von sozialen Absicherungsmodellen für Athletinnen und Athleten außerhalb staatlicher Strukturen, um Chancengleichheit zu gewährleisten, 
  1. eine Analyse der Absicherungsstrukturen in europäischen Nachbarländern und Identifikation von Best-Practice-Modellen,  
  1. die Umsetzung alternativer Finanzierungsmodelle, z.B. durch zivilgesellschaftliche Stipendienprogramme und private Förderinitiativen, 
  1. WICHTIGER FOKUS: Nachhaltige Förderung statt kurzfristiger Erfolgsorientierung, um die langfristige Entwicklung der Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt zu stellen. 
  1. Und vieles mehr 

Die deutsche Spitzensportförderung muss sich von einem unflexiblen, institutionenorientierten Modell lösen und eine diversifizierte Struktur schaffen, die sowohl sportliche Höchstleistungen als auch individuelle Biographieperspektiven ermöglicht. Nur so ist Deutschland langfristig international konkurrenzfähig, ohne dabei die soziale und berufliche Zukunft der Athletinnen und Athleten zu gefährden. 

Der Abschnitt aus der AG Sport im Original:

Zwischen Anspruch, Realität und Olympia-Träumen: Eine kritische Bilanz des deutschen Sportsystems 

Video: Zwischen Anspruch, Realität und Olympia-Träumen: Eine kritische Bilanz des deutschen Sportsystems 

Die Äußerungen der drei Sportfunktionäre Bernd Neuendorf vom Deutschen Fußball-Bund, Thomas Weikert vom Deutschen Olympischen Sportbund und Friedhelm Julius Beucher vom Deutschen Behindertensportverband im Interview mit der »Zeit«, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Finanzierung und Glaubwürdigkeit. Zum einen wird mehr finanzielle Unterstützung für den Sport gefordert, zum anderen mehr Anerkennung. Diese Forderungen sind zunächst nachvollziehbar, wiederholen sich jedoch seit Jahren. Die höchsten Vertreter des deutschen Sports betonen kontinuierlich die Relevanz finanzieller Zuwendungen für den Sport, präsentieren jedoch keine neuen, differenzierten Ansätze zur Mittelverwendung. Diese wiederholten Forderungen deuten auf eine sogenannte Pfadabhängigkeit (path dependency) des organisierten Sports hin, bei der sich Handlungen oder Äußerungen in eine bestimmte Richtung entwickeln, weil sie bereits in der Vergangenheit häufig so getroffen wurden. Anstatt eine innovative Finanzierungspolitik oder eine neue Strategie zur Mittelverteilung zu entwickeln, wird auf alte Argumentationslinien zurückgegriffen. Problematisch erscheint die Argumentationslinie, da diese teils inkonsistent und widersprüchlich ist. 

So werden im Sinne einer weiteren Erhöhung der finanziellen Zuwendungen Argumente miteinander vermengt, die in der Realität wenig miteinander zu tun haben, so z.B. die ganz unterschiedlichen Probleme im Spitzensport und im Breitensport. Auf die problematischen Punkte wird im Folgenden näher eingegangen (in den vorliegenden Ausführungen werden (sinnvolle) Aspekte wie die potenzielle Implementierung eines Sportministers, einer täglichen Sportstunde, ein Investitionsprogramm für den Sportstättenbau sowie die Kapazitätsgrenzen einzelner Sportarten nicht erörtert; dies erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt).

Warum DOSB-Präsident Weikert wiederholt die Olympiabewerbung so prominent, obwohl die eigenen Baustellen z.B. beim Sanierungsstau und den Mitgliederkapazitäten, laut eigener Aussage, so gravierend sind. Das vorliegende Interview leitet eine breite Diskussion über eine mögliche Olympiabewerbung ein, anstatt sich auf die defekten Hallen im Breitensport, das Fehlen von Ehrenamtlichen sowie die Probleme im Spitzensport, die sich aus der dualen Karriere, der finanziellen Unterstützung von Athlet*innen und der Bindung von Trainer*innen ergeben, zu konzentrieren.  Die Prioritätensetzung auf die Olympiabewerbung erscheint als eine verzerrte Form der Fokussierung, die die grundlegenden strukturellen Probleme des deutschen Sportsystems ignoriert. 

Die potenziellen Widerstände in der Bevölkerung in Bezug auf die Austragung der Olympischen Spiele werden verharmlost und die signifikanten ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsfragen zu Großereignissen werden vernachlässigt. Es ist wenig überraschend, dass Weikert die medial sehr erfolgreichen Pariser Spiele als Beispiel für Deutschland anführt. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass auch die finanziellen Belastungen für den französischen Staat in Bezug auf die Olympischen Spiele als erheblich einzustufen sind. Als Argument für die Ausrichtung der Olympischen Spiele wird seitens Weikert die eigene Befragung des DOSB angeführt, in der sich angeblich 70 % der Bevölkerung für die Olympischen Spiele ausgesprochen haben (im Rahmen des Strategieprozesses zur möglichen Bewerbung um Olympische Spiele führte der DOSB eine bevölkerungsrepräsentative Befragung durch, um die gesellschaftliche Erwartungshaltung zu ermitteln; konkrete Ergebnisse dieser Umfrage wurden nicht veröffentlicht). So müssen die Umfrageergebnisse aufgrund der vorhandenen Intransparenz mit Vorsicht behandelt werden. 7 gescheiterte Olympiabewerbungen seit 1986 mit Bevölkerungsbefragungen zu München 2022 und Hamburg 2024 zeichnen ein anderes Bild, denn die Austragung Olympischer Spiele ist mit hohen finanziellen Aufwendungen verbunden. So beliefen sich die Kosten für die Olympischen Spiele in Tokio beispielsweise auf geschätzte 30 Mrd. Euro, was eine enorme finanzielle Belastung für die japanische Gesellschaft darstellt. Der Mehrwert solcher hochkommerzialisierten Gigaevents ist äußerst fraglich (dazu in den nächsten Wochen mehr). Ferner wird die gesundheitspolitische Nachhaltigkeit solcher Großprojekte zu optimistisch beurteilt. Die Austragung der Spiele in London hat gezeigt, dass es nicht möglich war, die Bevölkerung in nennenswertem Umfang für den Sport zu begeistern. Vielmehr ist in der britischen Gesellschaft ein Rückgang der sportlichen Aktivität nicht nur bei Jugendlichen zu beobachten. Auch die umfangreichen Bauprojekte scheinen keine positiven Auswirkungen auf die allgemeine Bevölkerung und den Breitensport zu haben. Die Olympischen Dörfer werden zu überhöhten Preisen vermarktet und die Sportstätten sind in der Regel überdimensioniert, um für große sportliche Veranstaltungen mit vielen Zuschauern zu dienen. Für den Breitensport werden jedoch Sportstätten mit wenigen Zuschauertribünen und einer Vielzahl an Spielfeldern benötigt, welche im Gegensatz zu den für den Spitzensport konzipierten Sportstätten stehen. Ferner sind die finanziellen Belastungen für die jeweilige Metropole häufig so hoch, dass im Anschluss viele soziale Projekte gestrichen werden, um die umfangreichen Schulden, die durch die Olympischen Spiele entstanden sind, abzubauen.

In den vergangenen 40 Jahren waren derartige Konsequenzen in nahezu allen Gastgeberstädten zu beobachten. Nur in seltenen Fällen waren die Olympischen Spiele eine wirtschaftlich nachhaltige Erfolgsgeschichte (LA84). Ist für den DOSB eine Breiten- und Spitzensportinitiative ohne Olympische Spiele nicht anstrebenswert?

Die Diskussion um die Finanzierung des Breitensports ist von Scheinheiligkeit geprägt. Der DFB hat in den vergangenen Jahren einen starken Fokus auf die Nationalmannschaft und den Profisport gelegt, während der DOSB sich konzeptionell auf den Leistungssport konzentriert hat. Dadurch wurde der Breitensport vernachlässigt, obwohl zahlreiche Vereine und Abteilungen unter finanzieller Belastung leiden und ehrenamtliche Nachwuchsförderung dringend benötigen. Zudem bleibt unklar, wie die geforderten zusätzlichen Millionen für den Breiten- und Leistungssport eingesetzt werden sollen. Eine kritische Selbstreflexion seitens der Präsidenten ist in dem Interview nicht erkennbar, auch die Frage nach der eigenen Effizienz bleibt unbeantwortet.

Dies ist umso erstaunlicher, da der organisierte Sport, insbesondere der Leistungssport, in den vergangenen Jahren eine deutlich erhöhte staatliche Zuwendung erhalten hat, die jedoch kaum Auswirkungen auf die Situation des Spitzensports hatte und die Diskrepanz zwischen staatlicher Förderung und tatsächlichem Fortschritt aufzeigte. Konzeptionelle Fortschritte sind nicht ersichtlich, obwohl die Beteiligten sich der Tatsache bewusst sind, dass Strukturreformen wie eine bessere Vereinbarkeit von Spitzensport und Beruf bzw. Ausbildung und eine teils direkte Auszahlung des Spitzensportgeldes an die Athletinnen sowie eine langfristige Anstellung der Trainer bereits einen Unterschied machen würden.

Sportarten, die in den letzten Jahren vom Dachverband abgeschrieben wurden, waren erstaunlicherweise erfolgreich. Bemerkenswert ist, dass Präsident Weikert im Zeit-Interview den Basketball explizit als Erfolgsgeschichte hervorhebt, obwohl der DOSB und mit seiner Potentialanalyse diese Sportart einst als ineffizienteste und mit den geringsten Erfolgschancen einhergehende Disziplin betrachtete. Diese selektive Hervorhebung ist nicht mehr als eine symbolische Kommunikation, die von grundlegenden Problemen anderer Sportarten ablenkt. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Politik in den letzten Jahren vermehrt auf ein staatliches Leistungscontrolling drängt, denn der Staat ist der größte Sponsor des Sports. Allerdings findet keine Effizienzüberprüfung statt. Im Hinblick auf den Leistungssport werden durch Weikert Leistungen im Mittelfeld überbetont und als Erfolg verkauft, was grundsätzlich nicht verwerflich ist. Sich stärker von der Analyse der Medaillenspiegel zu lösen und den Fokus auf die Erreichung sportlicher Ziele zu richten, bedarf eines innovativen Leistungsdiskurs. Gleichzeitig müssen Ursachen wie Nachwuchsmangel, unzureichende Förderung und ungleiche Verteilung der Mittel stärker reflektiert werden.

Die Problematik der Trainervergütung und -anstellung ist seit zwei Jahrzehnten Thema vom DOSB, jedoch fehlen echte Konzepte und Veränderungen vonseiten des DOSB. Man muss dem Dachverband in diesem Zusammenhang Passivität vorwerfen, die letztlich in institutioneller Trägheit mündet. Es wird von zahlreichen Trainer*innen die Auffassung vertreten, dass sich in den vergangenen 20 Jahren keine signifikanten Veränderungen ergeben haben. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei die Abwanderung hochqualifizierter Trainer*innen ins Ausland. So kommt es im deutschen Spitzensport zu einem fatalen “Brain Drain”. Als Gründe hierfür sind die deutlich höhere Vergütung sowie bessere Rahmenbedingungen im Ausland anzuführen.

Es ist zutreffend, dass der Sport in bestimmten Kontexten einen Beitrag zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Integration leistet und dies in Vereinen auch tagtäglich geschieht. Gleichzeitig muss jedoch auch festgestellt werden, dass der Sport, insbesondere der DOSB und der DFB, durch eine Vielzahl von Skandalen nicht dazu beigetragen hat, das Ansehen der Verbände in Deutschland zu stärken. Der DFB Präsident Neuendorf behauptet, dass die Ära der Skandale nun vorüber sei. Die Vergabe der World Games nach Karlsruhe durch den DOSB und die Vergabe der WM an Saudi-Arabien mit der Zustimmung des DFB zeigen jedoch ein anderes Bild. Der DFB rechtfertigt die Entscheidung für Saudi-Arabien als pragmatisch, ohne die ethischen Implikationen zu thematisieren oder zu beleuchten. Es lässt sich konstatieren, dass der Verband auch nach Katar keine nennenswerten Fortschritte erzielt hat, was darauf hindeutet, dass sowohl der DFB als auch der DOSB und ihre verantwortlichen Entscheidungsträger die strukturellen Probleme des internationalen Sports ignorieren. Als Beispiel kann hier auf die Machtfülle des IOC und der FIFA verwiesen werden, für die deutschen Top-Funktionäre kein Problem. Diese Haltung ist enttäuschend, da die notwendige Analyse der internationalen Machtstrukturen und Abhängigkeiten, wie sie z.B. die FIFA und das IOC darstellen, von den Funktionären nicht kritisch vorgenommen wird. Stattdessen wird das bestehende System sogar noch verteidigt. Sind die Funktionäre noch glaubwürdig? Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Thematik der Ungleichheit zwischen Profisport und Amateurbereich zwar aufgegriffen wird, jedoch ohne die Präsentation von Lösungsansätzen. Auch beim Bewegungsmangel von Kindern wird die Verantwortung auf Schulen und Politik geschoben, eine Olympiabewerbung als Allheilmittel gesehen, ohne Eigenverantwortung und die Verantwortung der Gesellschaft anzusprechen. Ferner wird die Verbindung zwischen Kommerzialisierung und schwindender Glaubwürdigkeit des Sports von den Funktionären nicht wahrgenommen und keine Lösungsansätze für Spitzen- und Breitensport präsentiert.

Hoffnungslos verstrickt? Der Teufelskreis des deutschen Spitzensports

Der Teufelskreis des deutschen Spitzensports

Die gegenwärtige Lage des deutschen Spitzensports gibt Anlass zu einer erneuten Diskussion über die Formen der Spitzensportförderung. Das Abschneiden der deutschen Olympiamannschaft in Paris erfordert eine Analyse der unbefriedigenden Entwicklung, um etwaige Maßnahmen zur Verbesserung ableiten zu können. Dies kann nur über eine ehrliche Bestandsaufnahme geschehen, was für den deutschen Spitzensport eine Herausforderung darstellt.
Die Erfolgsquote der deutschen Olympiamannschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten fortlaufend gesunken, wobei Deutschland diejenige westliche Industrienation ist, die in den vergangenen Jahrzehnten die geringste Anzahl an Medaillen bei Olympischen Spielen gewonnen hat. Obgleich die Anzahl der Wettbewerber*innen weltweit zugenommen hat, muss konstatiert werden, dass ein maßgeblicher Konkurrent hinsichtlich potenzieller Medaillen, Russland, aufgrund seines Angriffskriegs gegen die Ukraine nur mit einer geringen Anzahl an Athlet*innen in Paris vertreten war. Die Chancen auf Medaillenplätze waren so vor Paris gestiegen, das Abschneiden erbrachte das schlechteste Ergebnis seit Barcelona 1992, vorausgesetzt der einzige Parameter ist Medaillen. Doch ist der Medaillenspiegel als eine Art von Erfolgsanalyse geeignet? Ein Vergleich mit dem Ergebnis in Barcelona erscheint wenig zielführend, da ein Teil der guten Leistungen der Bundesrepublik noch auf das DDR-Staatsdoping zurückzuführen waren.

Jährlich werden beträchtliche Summen in den Spitzensport investiert. Neben den über 300 Millionen Euro Bundesmitteln fließen weitere Mittel der Bundeswehr, der Polizei und des Zolls sowie direkte Zahlungen der Länder in den deutschen Spitzensport, so dass von einer Unterfinanzierung des Leistungssports keine Rede sein kann. Allerdings besteht gesellschaftlich ein Konsens darüber, die finanzielle Wertschätzung der Athletinnen über Prämien für Medaillengewinnerinnen zu erhöhen und steuerliche Erleichterungen für Spitzensportlerinnen zu schaffen. Eine Ursache für die fehlende Erfolgsentwicklung sind Effizienz- und Bürokratieprobleme, offensichtlich typisch deutsche Phänomene. Ein System, das eine angemessene Förderung leisten und Missbrauch und Korruption verhindern will und soll, entwickelt sich zu einem Bürokratie- und Ineffizienzmonster. Zudem führen unnötige Scheindebatten zu möglichen Einstellungsproblemen der heutigen Athletinnengeneration nicht weiter. Es ist ein Trugschluss, auch vieler Expert*innen, dass Leistung auf Zwang oder Leid basieren muss. Vielmehr kann Leistung durch Spaß am Training und auf einer angemessenen und gesunden Leidensfähigkeit basieren. Aktuelle Erfolge deutscher Sportler*innen in verschiedenen Disziplinen verdeutlichen, wie überflüssig eine Debatte um die Einstellung von Nachwuchssportler*innen ist.

Des Weiteren ist zu konstatieren, dass ein signifikanter Anteil der Athlet*innen die duale Karriere, unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung, als intellektuelle Bereicherung und nicht als Belastung empfindet. Die Frage, warum diese Form der Spitzensportkarriere (besonders Spitzensport und Studium) seitens des Staates nicht wie durch die Sporthilfe intensiver gefördert wird, bleibt seit Jahrzehnten unbeantwortet und erscheint schleierhaft. Universitäten könnten ausgeschriebene Fördermittel für Nachwuchsleistungssportler*innen unmittelbar beantragen und Stipendien an Leistungssportler*innen vergeben. Inzwischen ist es Hochschulen möglich, auf unterschiedliche Lebensmodelle ihrer Studierenden flexibel einzugehen. Diese Möglichkeit wird seitens der Entscheidungsträgerinnen jedoch unzureichend genutzt. Einen universell erfolgreichen Ansatz gibt es nicht, doch die quasi “Planwirtschaft” des deutschen Spitzensports behindert seit Jahrzehnten den eigenen Erfolg und ist mit ein Grund für die signifikante Ineffizienz. Bereits im Jugendalter werden die Nachwuchsathlet*innen in ein System gepresst, das eine vorgegebene Biografie fördert, anstatt Individualität zuzulassen, selbst dann, wenn die Athlet*innen nicht Teil des aktuellen Systems sein wollen. Die, die sich dem System anpassen. erhalten die beste finanzielle Förderung. Alle anderen müssen zurückstecken bzw. die Karriere in einem größeren Ausmaß selbst finanzieren. Folglich ist im Jugendalter der Besuch der Eliteschulen des Sports vorgesehen, anschließend der gewünschte Weg über die Bundeswehr, die Polizei und den Zoll. Diese Strukturen resultieren in einer signifikanten Anzahl von Drop-outs unter Nachwuchsathlet*innen beim Übergang von Schule zum Studium, was insbesondere bei Athlet*innen zu beobachten ist, die alternative Biografien präferieren (Auch der Breitensport verliert in diesem Alter eine erhebliche Anzahl an Mitgliedern). Genau für die Athlet*innen, die sich nicht ins System hineinzwängen lassen möchten, bedarf es neben einer generellen Zentralisierung Insellösungen, die individuelle duale Karrieren in einem gewünschten Umfeld von Trainer*innen, Betreuer*innen und Ausbildern/ Dozenten ermöglichen. In diesen Fällen erscheint eine direkte, servicegebundene Förderung sinnvoll.
Unterschiedliche Ansätze und Biografien sollten auch Sportler*innen mit divergenten Bedürfnissen ermöglichen, unterschiedliche Wege einzuschlagen, um letztendlich zu sportlichem Erfolg zu gelangen. Die Annahme, dass eine dezentrale Förderung keine positiven Effekte hervorbringt, ist ein Irrtum. Wichtig ist die Bereitstellung von Alternativen für die Sportler*innen. Dies impliziert, dass die betreffenden Athletinnen in ihrer vertrauten Umgebung weiter trainieren können und nicht dazu gezwungen werden, an das Leistungszentrum der Wahl des Verbandes überzuwechseln. Warum sollen bereits erfolgreiche Sportler*innen, die ein stimulierendes Umfeld gefunden haben, in dem sie sich wohlfühlen und in dem sie ihre Leistung steigern, aus diesem herausgezogen und an einen unbekannten Ort verfrachtet werden? Sicherlich sind auch Insellösungen wie die Zentralisierung kein Allheilmittel, aber sie sind Optionen.

Was für einen Leistungssport wollen wir als Gesellschaft?


Eine grundlegende Debatte zur Rolle des Breiten- und Spitzensports in der deutschen Gesellschaft ist auch für die Spitzensportreform erforderlich. Wofür soll der Sport stehen, welche Rolle soll er in der Gesellschaft einnehmen, welche Ziele soll er verfolgen und auf welche Weise sollen diese Ziele als Kollektiv erreicht werden? Und wie kann der Leistungssport sich in das auszudiskutierende Konstrukt integrieren?
Ohne eine Beantwortung dieser Fragen erscheinen erneute Reformdebatten zum deutschen Leistungssport im Rahmen einer Spitzensportreform 2.0 wenig zielführend.
Eine sinnvolle Verteilung von Fördermitteln wird nur dann möglich sein, wenn gesellschaftlich Einigkeit darüber besteht, wofür der Sport stehen soll. Diese Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Ein mit von Athleten Deutschland initiiertes Forschungsprojekt des BISP soll nun nach Jahren des Stillstands den gesellschaftlichen Nutzen des Spitzensports in Deutschland analysieren. Dazu wird im zweiten Teil, neben systematischen Übersichtsarbeiten (im ersten Teil), eine repräsentative Bevölkerungsbefragung durchgeführt, die die Wahrnehmung und Bedeutung des Spitzensports in der deutschen Gesellschaft bei Jugendlichen und Erwachsenen untersucht. So sollen fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse für die öffentliche Debatte um die Spitzensportförderung bereitgestellt werden. Die Projektlaufzeit von 18 Monaten ist für eine Evaluation solcher Fragestellungen sehr ambitioniert und es besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse nicht mehr in die aktuellen Diskussionen und Entscheidungen zum Spitzensport einfließen.
Ein weiteres Problem stellt die unzureichende Datengrundlage hinsichtlich der Spitzensportstrukturen dar. Es lässt sich konstatieren, dass sowohl Landesverbände, Verbände als auch der DOSB bisher kein wirkliches Interesse gezeigt haben, belastbare Daten zu erheben, welche Stützpunkte, Angebote und Serviceleistungen wie häufig und wo tatsächlich in Anspruch genommen werden. Dies ist ein schwerwiegender Fehler. Es wäre von großem Interesse, die Frequentierung der (Olympia-) Stützpunkte sowie die Inanspruchnahme der angebotenen Serviceleistungen zu ermitteln. Inwiefern werden die Angebote und Serviceleistungen von den Athlet*innen hinsichtlich ihrer Qualität bewertet? Welche Serviceleistungen sind erwünscht? Welche Strukturen werden präferiert? Diese Fragestellungen bleiben seit Jahrzehnten unbeantwortet.
Stattdessen äußern zahlreiche Akteure die Hoffnung das neue Sportfördergesetz könnte eine Lösung für die Probleme des deutschen Spitzensports sein. Obgleich der Wunsch nach einem Gesetz durchaus als sinnvoll und erfreulich zu werten und eine Verbesserung zu erhoffen ist, stehen die Vorzeichen für eine weitreichende Umsetzung der Inhalte des Gesetzes aufgrund der bisherigen Erfahrungen und fehlenden Datengrundlage eher schlecht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die grundlegenden Debatten zum Thema Sport bislang nicht geführt wurden (s.o.) und der Gesetzesentwurf keine belastbaren Daten mit einbezieht. Zudem fehlt dem Gesetzesentwurf eine echte Definition des Spitzensportlers, wie in anderen europäischen Ländern durchaus üblich (siehe z.B. Kroatien). Einmal mehr wird das bestehende System von Funktionären und Verbänden verteidigt, wobei Aspekte wie die besonders wichtige Nachwuchsförderung in den Arbeitsgruppen der Spitzensportreform 2.0 unzureichend ausgearbeitet werden.

Der Medaillenspiegel – Europäische Sportnationen im Vergleich – Paris 2024

Gegenwärtig wird erneut die Frage erörtert, auf welche Weise eine Veränderung der Strukturen Deutschland näher an Vorbildnationen wie Großbritannien, Frankreich oder die Niederlande heranführen könnte. Bei einem Vergleich mit diesen Nationen und einer Analyse der Länder anhand ihrer Einwohnerzahl sowie ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Bruttoinlandsprodukt) weist Deutschland eine negative Entwicklung auf. Sich von anderen Modellen inspirieren zu lassen ist nachvollziehbar, sollte in diesem Kontext die Frage berücksichtigen, welche Faktoren für den Erfolg dieser Länder maßgeblich sind.
Spitzensportliche Verhandlungen im Vereinigten Königreich sind durch eine besondere Härte gekennzeichnet. Dies trifft insbesondere auf Sportarten zu, die die in sie gesetzten Erwartungen hinsichtlich internationaler Erfolge bei Turnieren und den Olympischen Spielen nicht erfüllen. In diesen Fällen erfolgt eine Reduktion der Finanzierung auf ein Minimum, ein Prinzip der Aussortierung erfolgloser Sportarten als Relikt aus DDR-Zeiten. Sind die britischen Strukturen für den deutschen Spitzensport erstrebenswert? Eine Übertragung auf den deutschen Spitzensport erscheint wenig sinnvoll, zumal in Deutschland aufgrund des breitgefächerten Vereinssystems der Breitensport eine wichtige Rolle spielt, was die Förderung junger Talente einschließt. Eine vielseitige sportliche Ausbildung von Jugendlichen kann dazu beitragen, mehr Talente im gesamten Spitzensport zu integrieren. In Bezug auf das britische Spitzensportsystem ist zu beachten, dass der Verdacht groß ist, dass die Erfolge dieses Systems nicht ausschließlich auf legalen Mitteln basierten. Der französische Spitzensport hatte in den Monaten vor den Olympischen Spiele mit einem umfangreichen Missbrauchsskandal im eigenen System zu kämpfen. Die Aufarbeitung wurde durch ranghohe Politiker auf die Zeit nach den Spielen verschoben. Auch deshalb ist es schwierig, die Erfolge des französischen Teams korrekt einzuordnen.


Das niederländische Spitzensportsystem genießt international Vorbildcharakter, das Land gewinnt mit einer geringen Einwohnerzahl überproportional viele Gold- und Silbermedaillen und ist folglich besonders erfolgreich. Die effektive Nutzung der Potentiale der Athletinnen ist ein wesentlicher Faktor für diesen Erfolg. Die hohe Erfolgsquote mit einer effektiven Förderung wird mit auf ein produktives Leistungszentrum für den Leistungssport zurückgeführt, wobei die damit verbundene Zentralisierung als ein wichtiger Faktor betrachtet wird. Der Erfolg der niederländischen Sportlerinnen ist jedoch nicht nur auf die Zentralisierung zurückzuführen, sondern maßgeblich auch auf das Ermöglichen unterschiedlicher dualer Karrieren sowie dem Bereitstellen von angemessenen Fördersummen für Spitzensportlerinnen. Sie erhalten einen soliden Grundbetrag, der ihnen eine biografische Planungssicherheit verschafft.
Im Gegensatz zum deutschen Spitzensport, in dem eine soziale Absicherung in vielen Fällen nicht gewährleistet ist, erhalten die Sportlerinnen vor Ort deutlich höhere finanzielle Zuwendungen und auch die Möglichkeit, neben ihrer sportlichen Laufbahn ein Studium zu absolvieren. In Deutschland hingegen zeigt sich eine Inkompatibilität hinsichtlich dualer Karrieren, insbesondere durch die unzureichende finanzielle Unterstützung der dualen Karriere “Spitzensport und Studium”, die studentische Spitzensportlerinnen oft ausbremst. Die Annahme, dass Erfolge im Leistungssport ausschließlich durch eine Fokussierung auf den Sport selbst zu erreichen sind, ist im deutschen Spitzensportsystem nach wie vor weit verbreitet, wird aber auch seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert, ohne dass bislang eine effektive Lösung gefunden worden wäre. Über eine stärkere Zentralisierung wird eine Effizienzsteigerung erhofft. Die internationalen Beispiele verdeutlichen, dass eine Zentralisierung in einigen Sportarten zwar einen positiven Effekt haben kann, jedoch ein entscheidende Faktor scheint eine direkte finanzielle Förderung („Spitzensportgeld“) von Spitzensportler*innen über einen längeren Zeitraum, der Planungssicherheit verspricht, zu sein. Die Beispiele Großbritanniens und der Niederlande demonstrieren, dass eine effektive und umfangreiche Förderung von Spitzensportler*innen nicht innerhalb einer Olympiade sondern über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren erforderlich ist, um nachhaltige Erfolge in der Weltspitze zu erzielen, denn nur eine Unterstützung über einen derart langen Zeitraum erzeugt eine signifikante Steigerung der Erfolgschancen für die jeweiligen Sportler*innen. Auch für den deutschen Spitzensport kann eine langfristige und umfangreiche Förderung, insbesondere die direkte Förderung über ein Spitzensportgeld (direkte Zahlung an die Sportler*innen, Geld, das sie zweckgebunden selbst investieren können), ein grundlegender Faktor für zukünftige Erfolge der deutschen Olympiamannschaft sein

Das deutsche System agiert seit Jahrzehnten träge, auch weil auf verschiedenen Ebenen finanzielle Mittel, die in den Spitzensport investiert werden, scheinbar verloren gehen. Die aktuelle Situation des deutschen Spitzensports ähnelt einem Teufelskreis. Die Prognose für die Zukunft ist wenig vielversprechend. Es ist bedauerlich, dass seit Jahrzehnten über die gleichen Punkte diskutiert wird, die Entlohnung der Trainer*innen (hochqualifizierte Trainer*innen werden oft schlecht bezahlt oder wandern ins Ausland ab), die finanzielle Unterstützung der Athlet*innen sowie die Effizienz des Fördersystems inklusive der Stützpunkte, ohne große Änderung an den Strukturen. In diesem Kontext erweist sich das föderalistische System als wenig vorteilhaft. Die einzelnen Bundesländer vertreten ihre eigenen Interessen, auch bezogen auf die Stützpunkte.
Der kränkelnde „Sportpatient“ wird so durch aktuell implementierte Reförmchen sowie die staatliche Förderung lediglich künstlich in seiner gegenwärtigen Form stabilisiert. Doch die einzelnen Maßnahmen führen keine signifikanten und systemischen Veränderungen herbei, die den bestehenden Reformstau nachhaltig abbauen. Verbände, Vereine sowie Funktionäre sind im deutschen Förderdschungel gefangen und kämpfen permanent um Fördermittel. Eine kritische Betrachtung der Förderstrukturen sowie eine Wahrnehmung externer Impulse als Chance für Veränderung findet selten statt. Das Problem ist nicht in einem Mangel an finanziellen Ressourcen oder Ideen für den Spitzensport zu verorten, sondern in einer ineffizienten Verwendung und fehlgesteuerten Verteilung dieser Mittel. In diesem Kontext ist hervorzuheben, dass ein Großteil der finanziellen Mittel in die Strukturen/Verbände investiert wird, während Trainer*innen und Athlet*innen in einem geringeren Maße von den Fördergeldern direkt profitieren. Eine Lösung für einen effizienteren Einsatz der finanziellen Ressourcen kann somit in zwei Hauptstränge unterteilt werden:

  1. Zum einen durch die direkte Auszahlung eines Spitzensportgeldes an die Athlet*innen (eine höhere Effektivität und Effizienz wird erreicht). Eine direkte Förderung der Athletinnen über ein Spitzensportgeld, Gutscheine und Stipendien an Universitäten kann eine sinnvolle Variante sein, damit die Athlet*innen über einen Teil der finanziellen Unterstützung selbst verfügen können.
  2. Zum anderen eine Budgetierung der Fördergelder in den Verbänden.

In der Konsequenz obliegt es dann den Athlet*innen und Verbänden, über die Verteilung der ihnen zugeteilten Gelder zu entscheiden. Dies umfasst z.B. für die Verbände die Verwendung der finanziellen Mittel für Trainingslager, Trainerpersonal sowie internationale Wettkämpfe. Eine Erhöhung der Investitionen in eine Top-Bundestrainer*in wäre eine mögliche Konsequenz, doch ist zu beachten, dass ein Verband sowohl in die Spitze als auch in die Breite fördert. Der Verband entscheidet über die Verteilung der ihm zugeteilten Gelder und er kann dann im Anschluss anhand seiner Entscheidungen gemessen werden.

Weitere Reformansätze zur Spitzensportreform 2.0 im Oktober 2024 auf http://www.derballluegtnicht.com

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Missbrauch im Sport – Das Schweigegelübde des Sports und seine Folgen

(AUSZUG)

Im deutschen Sport ist Missbrauch und sexualisierte Gewalt in der Öffentlichkeit eine Randerscheinung. Aktuell kommen jedoch immer neue besorgniserregende Details in verschiedenen Sportarten ans Licht. Ein über den gesamten Sport gewachsenes Missbrauchssystem, erstarkt durch die eigenen Organisationsstrukturen und die bisher zugesicherte Autonomie, bestätigt ein flächendeckendes Problem. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Safe Sport Studie der Sporthochschule Köln aus dem Jahr 2016 (siehe hier), und dies wird aktuell untermauert durch Fälle bei den Turnerinnen (psychische Gewalt, mentale Misshandlung), Boxerinnen (sexueller Missbrauch, mutmaßliche Vergewaltigung) und Segler*innen (Jugendliche, über mehrere Jahrzehnte sexuelle Gewalt). Die nun bekannten Fälle sind lediglich die Spitze des Eisberges. Der Spitzensport und auch Breitensport sind durchseucht von sexualisierter, psychischer und körperlicher Gewalt. Doch wie konnte es dazu kommen? Wer ist dafür verantwortlich? 

Missbrauch und sexuelle Gewalt können sich ausbreiten, wenn Institutionen (Verbände und Vereine) mit unzureichenden Präventionsstrukturen ausgestattet sind und die Athlet*innen am unteren Ende der Talentpyramide nur wenige Ressourcen haben, leicht austauschbar sind oder in das vorzeitige Karriereende geschickt werden können. Noch extremer ist das Ergebnis, wenn die Systemstrukturen sexualisiert sind und von Männern dominiert werden. Deutsche Universitäten, die Bundeswehr, die katholische Kirche und der Sport sind beste Beispiele, oft ausschließlich von Männern in den oberen Positionen beherrscht.  

Ein “unsichtbares” System der Belästigung und des Missbrauchs wie im deutschen Spitzensport ist nur umsetzbar durch die stille Komplizenschaft vieler.

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Die Meinungsfreiheit von Athlet*innen

Politisch bewusste Athlet*innen können die Doppelmoral und das merkwürdige Demokratieverständnis des IOC nur schwer akzeptieren. Athlet*innen stellen vermehrt den Verband in Frage, was wenig überraschend ist und eher eine logische Konsequenz des widersprüchlichen Verhaltens des IOC.   

Meinungen von Athlet*innen sind wie die der Bürger Tatsachenbehauptungen oder Werturteile, die begründet oder unbedacht getätigt werden, konstruktiv oder destruktiv sind, erhellend oder sinnfrei erscheinen. Sie sorgen im Sport und durch den Sport für Aufsehen. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen kann hilfreich sein, um problematischen und kontroversen Aspekten Aufmerksamkeit zu geben. Diesem positiven Effekt des Sports sollte auch das IOC Anerkennung schenken. Ein/e Athlet*in begibt sich mit einem Werteurteil in die Öffentlichkeit und muss sich auch möglicher Konsequenzen bewusst sein. Nicht jede Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit wird von dieser auch gefeiert oder gelobt, es kann auch zu Gegenreaktionen kommen, scharfe Kritik hervorrufen. Athlet*innen, die sich öffentlich äußern, müssen mit Gegenrede rechnen. Auch für sie gilt, dass die Meinungsfreiheit zwar ein elementares Grundrecht und Schutzrecht der Bürger*innen gegenüber dem Staat ist, jedoch schützt es nicht vor Widerspruch. Besonders die sozialen Medien erlauben heutzutage den Zuschauern eine mikroskopische Beobachtung der Athlet*innen.  

Dem Prinzip der freien Meinungsäußerung muss sich auch der global agierende Weltverband des Sports stellen. Das IOC will mit seinen Wettkämpfen Menschen friedlich zusammenbringen und die Kommunikation zwischen den Nationen stärken; wie kann es sich gleichzeitig seiner Verantwortung hinsichtlich dieser Werte entziehen? Diskriminierende politische Äußerungen jeglicher Art, Populismus oder Propaganda gehören in diesem Zusammenhang zu den Gefahren von Freiheit und Demokratie und sind abzulehnen. Es obliegt aber nicht dem IOC das Grundrecht der freien Meinungsäußerung grundsätzlich aufgrund der Durchsetzung einer höheren bzw. „besseren“ Moral des Sports einzuschränken, denn diese ist eine akzeptierte Norm in Demokratien. 

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Die Regel 50 – Ein heißer Sommer für das IOC? (Teil 2)

(Auszug)

Die kontroverse Diskussion zur Regel 50.2 der Olympischen Charta und die Entscheidung, die Regel zu erhalten, legen die Verlogenheit des IOC offen. Ein veraltetes Sportsystem schränkt über eine Regel die Rechte der Athlet*innen auf freie Meinungsäußerung ein, erkennt damit Grundrechte nicht an und unterdrückt sie. 

Bürgern, ob in Deutschland oder den USA, wird das Grundrecht der freien Meinungsäußerung zugesprochen, doch während der größten sportlichen Wettkämpfe weltweit, wird den gleichen Bürgern, nur diesmal in der Funktion der Athlet*innen unterwegs, dieses Recht durch den global mächtigsten und machtversessenen Verband IOC abgesprochen. Dem Verband kann eine Freiheits- und Demokratieverdrossenheit vorgeworfen werden. Wie ist dies innerhalb der weltweiten Staatengemeinschaft möglich? 

Das IOC ist nicht gegen Politik, sondern steht für eine bestimmte Art der Politik. Gesellschaftliche und soziale Kritik sind nicht erwünscht. Das IOC hat Probleme mit Protesten, die gesellschaftliche Ungleichgewichte und die Unterdrückung von Minderheiten anprangern. Sobald es zum Beispiel um das Thema Rassismus geht oder die Unterdrückung einzelner Bevölkerungsgruppen, will das IOC nicht Teil dieser Diskussionen sein. Der Status Quo und die Vorherrschaft der weißen Männer hat Vorrang (vgl. Boykoff, 2020).  

Erschreckend ist dabei, dass das IOC und die IOC-Athletenkommission trotz der vielen Gegenargumente an dem Verbot der freien Meinungsäußerung festhalten wollen. Damit widersprechen sie auch den Empfehlungen der eigens in Auftrag gegebenen Kommission zur Achtung der Menschenrechte im IOC.  Der Bericht fordert den Dachverband auf, die formulierten Vorschläge zu implementieren (siehe oben).  

Stattdessen erhebt sich das IOC mit dem weiterhin geltenden Verbot politischer Statements wie z.B. dem Tragen der Phrase „Black Lives Matter“, dem Hinknien oder gestreckten Faust, über alle demokratischen Instanzen. Zwar sind Rede- und Meinungsfreiheit bis heute keine absoluten Rechte, aber es nicht Aufgabe eines Verbandes, die Menschenrechte von Athlet*innen aus aller Welt zu definieren bzw. einzuschränken. Keine Umfrage kann dies rechtfertigen (vgl. EU Athletes, 2020). 

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